„Bond-Halter werden gekreuzigt“

Ein Interview mit Vincent Strauss, CEO von Comgest und Fondsmanager des Comgest Magellan, über Risiken und Chancen von Schwellenländer-Investments heute.

Ali Masarwah 23.09.2013
Facebook Twitter LinkedIn

Herr Strauss, wenn in den vergangenen Jahren die Rede von Emerging Markets war, dann drehte sich alles um Themen wie Wirtschaftswachstum und – daraus abgeleitet – erwartet hohe Kapitalmarktrenditen. Heute hat sich dieses positive Bild in sein Gegenteil verkehrt. Heute spricht man über das eingetrübte Wachstum, schwache Renditen und Liquiditätskrisen. Wo stehen wir?

Viele Investoren waren in der Vergangenheit viel zu optimistisch mit Blick auf Emerging Markets. Die Schwellenländer-Story war leider zu oft marketing-getrieben. Das geht im Grunde auf das BRIC-Konzept (BRIC steht für Brasilien, Russland, Indien und China) zurück. Die BRIC-Hype war eine vollkommen falsche Weichenstellung. Man hat vier Länder, die nichts miteinander gemein haben, zu einer Wachstumsstory gebündelt. Doch was waren die tatsächlichen Bedingungen vor Ort? Nehmen wir das Beispiel Brasilien, ein Mitglied im BRIC-Klub. Das  Land hat vom langjährigen Rohstoff-Boom profitiert. Zusätzlich wurde das Wirtschaftswachstum durch die Verschuldung befeuert. Das war wie Doping, das Wachstum war zum großen Teil künstlich erzeugt. Das konnte man zwar schon länger sehen, aber wenn die Performance schlecht ist, nehmen Anleger die Probleme viel stärker wahr, als wenn die Kurse nach oben gehen.

Ist das alles nur eine Wahrnehmungsfrage? Brasilien hat jüngst die Finanztransaktionssteuer abgeschafft. Die wurde eingeführt, um Hürden für zu hohe ausländische Investitionen aufzubauen. Heute ist davon keine Rede. Ausländische Anleger flüchten.Die brasilianische Notenbank nimmt bis Ende 2013 sogar 60 Milliarden Dollar in die Hand, um den Real zu stützen. Derartige Probleme haben viele Schwellenländer. Ist die Lage heute wirklich so viel komfortabler als in den 1990er Jahren?

Die BRIC-Hype war eine vollkommen falsche Weichenstellung. Man hat vier Länder, die nichts miteinander gemein haben, zu einer Wachstumsstory gebündelt.

Auf jeden Fall. Bis Mitte der 1990er Jahre waren die Schwellenländer sehr fragil. Die Regierungen haben langfristige Infrastrukturprojekte mit sehr kurzfristigen Krediten finanziert. Das waren in erster Linie Dollar-Kredite. Das hat diese Länder extrem anfällig für externe Schocks gemacht. Das ist heute anders. Die Staaten haben in großem Stil Reserven angelegt und hängen damit nicht mehr am Tropf westlicher Banken. Heute folgen immer mehr Länder dem chilenischen Modell. Es treten lokale Pensionseinrichtungen auf den Plan, die mit den Einlagen der Arbeitnehmer langfristige Projekte finanzieren. Diese interne Finanzierung macht Emerging Markets unabhängiger von westlichen Banken. Aber man darf nicht unterschlagen, dass es Risiken gibt. Viele Länder haben sich stark verschuldet und ihre finanziellen Ressourcen überstrapaziert. Viele Regierungen sind nicht so diszipliniert, wie sie sein könnten, und das gilt auch für Unternehmen. Gerade bei den rohstoffexportierenden Ländern wurde oft zum falschen Zeitpunkt investiert.

Und dennoch: In diesem Jahr ziehen westliche Finanzinvestoren in großem Stil ihr Geld ab, und die Staaten wackeln bedenklich. Die Geldflüsse aus dem Ausland sind nicht kontrollierbar, was der Absturz von etlichen Währungen zeigt.

Nach meiner Meinung sind Bonds viel stärker gefährdet als Aktien. Das Niveau der Bond-Emissionen war auch noch in diesem Jahr gewaltig. Ich könnte mir vorstellen, dass gerade Investoren in lokalen Währungen noch Probleme bekommen könnten. Aber da wären wir auch schon beim Kern der Sache: Viele Unternehmen in den Schwellenländern haben sich verschuldet, ja, aber wenn ein Bond von 100 auf 70 fällt, dann betrifft das unmittelbar nicht die Firmen, sondern die Anleger. Und wer kauft in diesen Zeiten hochverzinste Anleihen?

Westliche Investoren.

Genau. Die Risiken liegen heute weniger beim Schuldner als beim Investor. Das ist übrigens bei US-Treasuries genauso. Im Moment leiden vor allem die Banken, die sich mit Treasuries vollgesogen haben unter den steigenden Renditen.

Die Schuldner müssen aber ihre Schulden bei der Fälligkeit rollen, und in einer Krise werden die Refinanzierungskonditionen nicht so günstig sein.

Das Verschuldungsniveau der Firmen ist viel geringer als in den 1990er Jahren, deshalb halte ich die Situation im Moment noch nicht für kritisch - vielleicht mit der Ausnahmen Lateinamerikas. Insbesondere in Brasilien haben viele Unternehmen ihre Bilanzen aufgebläht. 

Als die US-Notenbank im Mai andeutete, dass sie ihre expansive Linie verlassen könnte, konnten westliche Anleger gar nicht schnell genug ihre Gelder aus den Emerging Markets abziehen. Besonders stark von den Abflüssen getroffen wurden die Systeme, die in der Vergangenheit ihre Finanzmärkte und Wirtschaftssyteme liberalisiert hatten. Offenheit macht Schwellenländer anfällig für Schocks.

Das würde ich so nicht unterschreiben. Der Finanzmarkt Chinas mag abgeschottet sein, aber die Wirtschaft ist alles andere als geschlossen. China ist sehr stark abhängig von Exporten in den Westen. In China mag man glauben, dass man sich in einer sehr komfortablen Lage wegen der Währungsreserven von drei Billiarden Dollar befindet. Aber das kann trügerisch sein. Welches Land hatte 1929 die höchsten Währungsreserven der Welt? Die USA! Und 1989? Japan! Hohe Reserven implizieren auch ein Ungleichgewicht im System. Das ist riskant, muss kurzfristig aber nicht ein Problem sein. Die chinesische Zentralbank druckt Geld und stützt damit das Bankensystem. Ich würde argumentieren, dass Indien nicht so abhängig von der internationalen Finanzierung oder dem Export ist.

Indien wird aber eher als das Problemkind gesehen als China.

Ja und nein. Ich will die Probleme Indiens nicht kleinreden: Es gibt große Infrastrukturprobleme, vor allem bei der Stromversorgung. Die Kapazitäten müssen dringend ausgebaut werden. Auf der anderen Seite ist Indien nicht so abhängig von Exporten wie andere Länder, etwa Südafrika, Chile oder Brasilien. Indien hat eine nach innen gerichtete Wirtschaft. 

Wo stehen europäische Investoren in Schwellenländern heute? Sie sehen vor allem die Probleme bei Anleihen, was nicht verwundert, da Comgest Aktienportfolios verwaltet.

Es ist aber nun einmal so: Die Risiken bestehen vor allem auf der Bond-Seite. Vor wenigen Monaten befanden sich die Versicherungsprämien für Anleihen aus den Philippinen auf dem Niveau der CDS auf französische Anleihen. Das war vollkommen absurd!

Das hat sich mittlerweile geändert. 

Ja, zuletzt haben Schwellenländer-Bonds gelitten, und ich bin auch für die nächsten ein bis zwei Jahre nicht optimistisch für diese Asset-Klasse, auch wenn Anleihen zeitweilig überverkauft werden könnten.

Was werden also die vielen Investoren in den entwickelten Ländern tun, die angesichts des Niedrigzinsumfelds nach Renditen suchen?

Ich vermute, dass sich die Investoren, die bisher in Schwellenländer-Bonds investiert haben, sich nach dem Schreck zur nächsten Asset-Klasse bewegen werden, die hohe Renditen verspricht. Die Korrektur bei Schwellenländer-Bonds ist nicht das Ende der Geschichte, Anleger werden Risiken nehmen, so lange die Rahmenbedingungen im Westen so sind, wie sie sind. Das Geld dürfte nur woanders allokiert werden, etwa in Emerging Markets Aktien und Nebenwerte. Es ist ein gefährliches Spiel, aber keiner weiß, wann die Musik abbrechen wird. Immerhin sind die Bewertungen von Aktien heute attraktiver als in der Vergangenheit ...

Anfang 2012 waren Sie auch zuversichtlich für Aktien und haben die damals attraktiven Bewertungen aufgeführt. 2012 war aber kein gutes Aktienjahr für Emerging-Markets-Aktien, Bewertungen hin, Bewertungen her.

Die Gewinnschätzungen wurden durch die Bank zu optimistisch eingeschätzt. Auch wir haben im Nachhinein betrachtet diesen Fehler begangen.

Sind die Bewertungen heute wirklich so viel attraktiver als vor ein, zwei Jahren?

Ich werde ihnen jetzt nicht die Story verkaufen, dass Schwellenländeraktien furchtbar billig sind und dass Anleger jetzt unbedingt einsteigen müssen. Mit einem KGV von zehn ist der Markt zwar moderat bewertet, aber wirklich billig ist es nirgendwo - vor allem nicht in den USA.

Emerging Markets sind also eine Value-Story mangels Alternativen?

Bei den niedrigen Renditen und angesichts der Inflation in vielen Schwellenländern könnten Bond-Halter irgendwann regelrecht gekreuzigt werden.

Ja, es gibt heute keine Alternativen zu Aktien. Im heutigen Niedrigszinsumfeld sind Anleihen vollkommen überbewertet, auf keinen Fall sollte man in Staatsanleihen investieren. Auch Unternehmensanleihen halte ich für keine gute Wahl. Bei den niedrigen Renditen und angesichts der Inflation in vielen Schwellenländern könnten Bond-Halter irgendwann regelrecht gekreuzigt werden. Pensionskassen und damit auch die Pensionäre werden einen hohen Preis für die expansive Linie der Notenbanken zahlen.

Das globale Wachstum ist anämisch, und über die Probleme der Schwellenländer haben wir bereits gesprochen. Werden die derzeitigen Bewertungen wirklich durch hinreichendes Wachstum gestützt?

Diese Unsicherheit herrscht überall. Ich würde diese kritische Frage vor allem mit Blick auf die Firmen in den entwickelten Märkten aufwerfen. Seit der Finanzkrise haben die Unternehmen alles getan, um ihre Kosten zu senken. Mit Erfolg. Aber dieses Spiel ist jetzt vorbei: jetzt brauchen wir mehr Umsatzwachstum! Wenn das nicht kommt, muss man in der Tat große Fragezeichenhinter das Wachstumspotenzial setzen - und damit auch hinter die derzeitigen Aktienbewertungen.

Bekommen Unternehmen in den Schwellenländern das Problem denn wirklich besser in den Griff?

Das ist natürlich schwer zu verallgemeinern, aber wir beobachten häufig, dass Unternehmen in den Schwellenländern noch von echten Unternehmern gesteuert werden. Das bringt automatisch mehr Langfristigkeit mit sich. In den USA ist es ganz extrem: Da bestimmen professionelle Manager die Linie. Die meisten CEOs und CFOs richten ihre Wachstumsziele auf Zwei- oder Dreijahreszyklen aus, streichen dann ihre Boni und Aktienoptionen ein und machen sich einen netten Lebensabend in Florida. Egal, was man in den Emerging Markets bemängeln mag, und es gibt viel zu bemängeln: Die Geschäftsmodelle der Unternehmen sind in der Regel langfristiger, nachhaltiger ausgerichtet.

Wo stehen die Schwellenländer heute? Sie haben über das Ende des Rohstoffzyklus gesprochen, über viel Wachstum auf Pump. Was wird die Märkte in den nächsten fünf, zehn Jahren bewegen?

Ich halte es für wahrscheinlich, dass sich die Schwellenländer in den nächsten Jahren stärker von den entwickelten Märkten abkoppeln werden.

Sie wärmen die Decoupling-These auf. Das überrascht mich.

Doch, das ergibt sich aus dem neuen Geschäftsmodell der Emerging Markets. In den vergangenen fünf, zehn Jahren war die vermeintliche Abnabelung der Schwellenländer von den Industrieländern ein Mythos, eine Marketing-Story. In Wahrheit haben viele Zuflüsse aus den Industrienationen nicht immer gesundes Wachstum finanziert: Die Schwellenländer waren die verlängerte Werkbank des Westens und haben Güter und Rohstoffe exportiert. Das wird sich ändern. Der Binnenkonsum wird gestärkt, und die Exportabhängigkeit nimmt ab. Das wird sich nicht über Nacht ändern, und es ist eine Illusion zu glauben, dass die Schwellenländer so stark sein werden, dass sie das globale Wachstum schultern könnten. Dafür sind die Emerging Markets nicht wichtig genug. Jedenfalls noch nicht.

Das Interview führte Ali Masarwah

Facebook Twitter LinkedIn

Über den Autor

Ali Masarwah

Ali Masarwah  Ali Masarwah war von 2011 bis Frühjahr 2021 als Chefredakteur für die deutschsprachigen Anleger Websites von Morningstar verantwortlich