Value Investing: Ist es dieses Mal wirklich anders?

Ausgerechnet GMO-Gründer Jeremy Grantham spricht ein für Value-Anleger heikles Thema an.

John Rekenthaler 31.05.2017
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Value und Growth sind nicht nur zwei konträre Investmentstile – sie scheinen regelrecht zwei unterschiedliche Menschentypen zu verkörpern. Für Investoren in Wachstums-Aktien bringt jeder Tag die Chance auf einen Neuanfang. Es gibt ständig neue Industrien zu erfinden, neue Monopole aufzubauen und damit die Option, Rekordgewinne zu verdienen. Die Käufer von Wachstums-Aktien sind wie Kinder am Weihnachtsmorgen, die auf der Treppe hinunterspringen, voller Vorfreude auf die Überraschungen unter dem Weihnachtsbaum. Oder wie Welpen, die Schwanz wedelnd vor die Tür treten um zu erforschen, was die Welt zu bieten hat. Growth-Investoren sind also notorische Optimisten. 

Freuden dieser Art existieren für Value-Investoren nicht. Sie wissen, was in Wahrheit auf den Growth-Investor, ihren erwartungsvollen Konkurrenten, wartet: bittere Enttäuschungen! Das Geschenk vom Weihnachtsmann entpuppt sich als handgestrickter Schal, der verdächtig nach dem unmöglich spiessigen Hut von Tante Edna aussieht. Der Welpe wird an seiner Leine herumgezogen und hat nie den Hauch einer Chance, das Eichhörnchen zu jagen, das ihn verspottet. Und die hundertprozentig innovative Muffin-Kette, bei der ein Erfolg vorprogrammiert schien, geht Bankrott, weil sie von einem Donuts-Anbieter ausgestochen wird. 

Um es kurz zu machen: Der Value-Investor ist ein Pessimist, der durch seine Erfahrungen belastet ist. Er weiss, dass auch die glänzenden Aussichten von Wachstumsfirmen eines Tages verblasen werden -- so sicher wie auf den Tag die Nacht folgt. Doch es gibt eine Entschädigung für so ein Leben in Schwermut. Denn historisch betrachtet hat die Börse diejenigen Anleger belohnt, welche die geschichtlichen Lehren studiert haben und denen es dadurch gelingt, die leichtfertigsten Fehler zu vermeiden. 

Die frühen Jahre von Grantham 

Ein namhaftes Beispiel dafür ist Jeremy Grantham, Mitgründer des Investmenthauses GMO. Als Grantham in die Investment-Branche einstieg, wandte er gleich den Ansatz des „alten Mannes“ des Value-Investing an. Denn aus Sicht von Grantham hatte Ben Graham bereits die harte Arbeit geleistet, indem er dokumentierte, wie Kennzahlen immer wieder zu ihren alten Trends zurückkehren. Warum also nicht einfach das machen, wozu Graham geraten hatte? Einfach Unternehmen, deren Aktienkurse am Boden sind, kaufen und auf eine Rückkehr zum historischen Mittelwert zu warten? 

Grantham schreibt dazu folgendes: „Es hat funktioniert. Auf Sicht von zehn Jahren schlagen die unbeliebten, niedrig bewerteten Aktien den Markt, weil sich ihre niedrigen Gewinnspannen wieder erholen. Das wiederholt sich dann in den kommenden zehn Jahren und in den zehn Jahren danach. Das ist zwar nicht direkt vergleichbar damit, Fische aus der Regentonne zu angeln, aber vergleichbar. In ähnlicher Weise schiesst von Zeit zu Zeit eine Gruppe von Aktien oder vielleicht sogar der ganze Markt nach oben und lästigerweise verharren sie da manchmal einige schmerzvolle Jahre länger als erwartet, aber irgendwann korrigieren sie dann doch wieder nach unten. Gedrückte Gewinnspannen erholen sich im Allgemeinen wieder, und für Value Manager war deshalb die Welt grösstenteils bequem und für einige Jahrzehnte sogar sehr einfach.“ 

Grantham war schlau und hatte auch Glück. Volle Anerkennung hat Grantham für seine Erkenntnis verdient, dass er davon profitieren kann, auf den Schulten anderer zustehen und davon, eine der dafür am besten geeignetsten Schultern überhaupt ausfindig gemacht zu haben. Aber er hatte auch das Glück, im Jahr 1938 und nicht 1968 geboren worden zu sein. Denn wenn er eine Generation gewartet hätte, dann wäre er in das Geschäft Mitte der 1990er-Jahre eingestiegen. Und seit dieser Zeit hat Value-Investing weitgehend versagt. 

Die Party geht zu Ende…dauerhaft? 

Bei Nebenwerten funktionierte der Value-Investing-Ansatz noch etwas länger. So hat der Russell 2000 Value Index den Russell 2000 Growth Index seit dem 01. Januar 1995 klar geschlagen. Während der Value Growth Index jährlich um 10,7 Prozent zulegte, kam der Growth Index gleichzeitig um 7,8 Prozent voran. Allerdings resultierte dieser Vorsprung nur aus der ersten Phase dieser Zeitperiode. In den vergangenen 15 Jahren haben die beiden Indizes dann fast identische Renditen verbucht. 

Anders bei Standardwerten. Hier hat Value Investing bereits seit Mitte der 1990er Jahre keinerlei Vorteile gebracht. Vielmehr hat der S&P 500 Growth Index den verwandten Value-Index geschlagen. Der S&P 500 Value Index liegt beim Vergleich der vergangenen 20 und 15 Jahre leicht vorne, hinkt auf Sicht von zehn und fünf Jahren aber leicht zurück. Insgesamt hatte der vermeintlich heisse Wettstreit der Investmentstile die Anmutung einer Runde gepflegten Aquajoggings.

Value-Investoren üben sich in Durchhalteparolen 

Angesprochen auf die lange Durststrecke raten Value-Investoren üblicherweise zu Geduld. Ja, sagen sie, Value-Aktien sind ihren historischen Verhaltensmustern nicht gefolgt, aber solche Dinge passieren eben. Wenn riskante Investments garantierte Erfolgsphasen hätten, dann wären sie keine riskanten Investments mehr. Sehen Sie im aktuellen Kampf der Value-Aktien kein Problem, sondern eine Chance. Denn umso schlechter der Value-Anlage-Stil abschneidet, desto stärker wird die Erholung ausfallen, wenn Value-Investing wieder in Mode kommt. 

Das Argument macht viel Sinn. Es zählt zu den Grundwahrheiten des Investierens, dass der Lohn tendenziell dann am grössten ausfällt, wenn die Aussichten am dunkelsten erscheinen. So titelte die BusinessWeek im Jahr 1979 "Der Tod von Aktien" - im Nachhinein handelte es sich aber die beste Zeit, um in Aktien einzusteigen und nicht, um sie zu verkaufen. Zwei Jahrzehnte später stellten sich während der „Neuen Ära“ für Technologie-Aktien dann viele Anleger die Frage nach der Tragfähigkeit von Value-Investing. Prompt legte der Value-Stil daraufhin die beste Dreijahresbilanz seit Jahren hin.

Die Behauptung steht auch im Einklang mit der menschlichen Natur. Es ist für fast jeden schwierig, eigene Ansichten zu überdenken, wenn man mit „neuen Beweisen“ konfrontiert wird. Besonders schwierig ist so etwas für Portfoliomanager, die typischerweise ein gewisses Alter erreicht haben und eine sehr erfolgreiche Karriere hatten. Es ist viel natürlicher - und in der Regel überzeugender für die Zuschauer - "Überzeugung" zu demonstrieren, indem man langjährige Glaubensinhalte wiederholt. 

Mutige Worte eines Value-Jüngers

Nicht so Grantham. Im jüngsten Quartalsbrief an die Anleger überschreibt er seinen Artikel mit dem Titel „Dieses Mal scheint es ganz, ganz anders zu sein.“ Die Überschrift ist so etwas wie eine Stichelei, lässt Grantham das Verb „scheint“ doch viel Spielraum. Trotzdem will er die bedeutsame Option nicht ausschliessen, dass die den Value-Stil unterstützenden Bedingungen, die er von Ben Graham gelernt und die er über so viele Jahre angewandt habe, schwer beeinträchtigt sind. Das ist ein kühner Gedanke von einem etablierten Portfoliomanager. 

In der nächsten Ausgabe dieser Kolumne untersuchen wir die Argumente von Grantham. Warum ist Value-Investing so abgeschmiert? Was muss sich ändern, damit dieser langjährig so erfolgreiche Investmentstil wieder in die Spur kommt?

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Über den Autor

John Rekenthaler  is vice president of research for Morningstar.