Ihr Bond-Portfolio wiegt schwerer als Sie glauben

Anleger führen in Sachen Geldanlagen nicht nur oft getrennte Konten: Sie fangen häufig schon mit einer fehlerhaften Bestandsaufnahme an. Es gilt zu erkennen, dass kein Portfolio eine Insel ist.

Ali Masarwah 30.11.2018
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Die meisten Bürger führen getrennte Konten, wenn es um finanzielle Angelegenheiten geht. Girokonto, Sparkonto, Wertpapierdepot, Lebensversicherung, Ansprüche aus der gesetzlichen Rentenversicherung: Allzu oft werden diese Posten auch als getrennte Posten „gedacht“ - und entsprechend getrennt bewertet. Das ist ein Fehler, der sich allerdings auch im Finanzvertrieb fortsetzt. Auch hier haben sich getrennte Begriffswelten etabliert, typischerweise entlang der Unterscheidung zwischen Fonds und Versicherungen. Beispiele hierfür gibt es viele. Sie kennen bestimmt die vermeintlichen Gegensatzpaare: „Investment versus Sparen“, „Anlegen versus Altersvorsorge“ oder „Vorsorgen versus Sparen“. 

Diesen Fehler hat man in der Finanzforschung mit einem festen Begriff belegt: mental accounting. Bei der mentalen Buchhaltung werden zusammenhängende Vorgänge zu Unrecht separat geführt. Zwecks Vereinfachung und zur besseren Übersichtlichkeit „führen“ Anleger „getrennte Bücher“ über ihre verschiedenen Vermögensformen. Das kann gravierende Fehlallokationen bewirken.   

Kein Portfolio ist eine Insel

Anleger sollten die Vermögenswerte, die sie besitzen, nicht nur zusammenfassen, sondern auch nach ihrer Funktion eingruppieren. Wer etwa eine kapitalbildende Lebensversicherung abgeschlossen hat, kann es sich leisten, eine höhere Aktienquote im Depot zu fahren, als ein Anleger, der keine Lebensversicherung besitzt. Denn Lebensversicherungen in ihrer klassischen Variante haben ein Bond-ähnliches Profil – sie bringen jährliche Kupons (die thesauriert werden), und am Laufzeitende steht die Auszahlung eines Mindestbetrags. Lebensversicherungen sind funktional gesehen also Bonds. 

Umgekehrt können sich vermeintlich konservative Investmentvehikel, wie diversifizierte Rentenfonds oder defensive Mischfonds, als sprichwörtliche Wölfe im Schafsfell entpuppen. Denn oft haben Fondsmanager angesichts des tiefen Renditeniveaus an den Bond-Märkte den eigentlich defensiven Investments zunehmend riskante Wertpapiere beigemischt. Häufig finden sich Hochzins-Anleihen oder strukturierte Bonds wie ABS unter den Holdings dieser Fonds. Das muss nichts Schlimmes sein, führt aber zu veränderten Rendite-Risiko-Profilen, über die Anleger Bescheid wissen müssen. 

Doch die Erkenntnis, wonach kein Portfolio eine Insel ist, führt zu noch weitreichenderen Konsequenzen. Man muss nicht nur den Immobilienbesitz und die betriebliche Altersversorgung in die Gleichung einbeziehen, sondern auch die gesetzliche Rente und das Humankapital. Für viele Menschen, die kurz vor dem Ruhestand sind oder bereits pensioniert sind, ist die gesetzliche Rente die wichtigste Position auf ihrer Bilanz. Aktuell beläuft sich das Bruttorentenniveau in Deutschland auf 46 Prozent des zuletzt erzielten Einkommens. Das ist zwar deutlich weniger als im Erwerbsleben zuletzt herumkam, ist aber „sicher“ - im Sinne von stetigem Einnahmestrom. (In den nächsten Jahren wird diese Versorgungsquote zwar nach und nach zurückgehen, dürfte aber auch mittelfristig mit rund 40 Prozent die größte Einkommensquelle deutscher Rentner bleiben.) 

Umgekehrt haben die meisten jungen Menschen nur geringe Rentenanwartschaften erworben. Auch dürften die meisten kein signifikantes Vermögen angespart haben. Das wichtigste Asset, das sie besitzen, ist ihr Humankapital. Doch wie ist das zu bewerten? Das hängt stark von der individuellen Situation zusammen, aber zwei Faustregeln lassen sich doch formulieren: Wer in einer zyklischen Branche tätig ist, sollte sein Humankapital eher dem Aktienmarkt zuordnen. Das bedeutet, dass die restlichen Portfolio-Bestandteile konservativ ausgerichtet sein sollten. Wer dagegen in einer Branche tätig ist, die wenig vom Auf- und Ab der Konjunktur abhängig ist, bewegt sich in Richtung Bonds. Vollends im Anleihesegment ist angekommen, wer im Staatsdienst als Beamter tätig ist. Er ist unkündbar, und sein Einkommensstrom ist sicher. Das bedeutet, dass das Wertpapierportfolio aktienlastiger sein kann. Auf den Punkt gebracht: Banker sollten Anleihen kaufen, Lehrer Aktien. 

 

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Über den Autor

Ali Masarwah

Ali Masarwah  Ali Masarwah war von 2011 bis Frühjahr 2021 als Chefredakteur für die deutschsprachigen Anleger Websites von Morningstar verantwortlich