Russland: `Es gibt noch viel Potenzial´

Osteuropafonds gehörten im vergangenen Jahr zu den wenigen Lichtblicken im Aktiensektor. Russland ist in den meisten Portfolios prominent gewichtet, reine Russland-Fonds gibt es jedoch nur einen. Wir unterhielten uns mit Svetlana Le Gall-Vorona, Managerin des Clariden Russia – Fonds.

Fernando Luque 13.02.2003
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Ist die russische Wirtschaft nicht wie Venezuela zu sehr von ihren Ölexporten abhängig?

Das russische Bruttoinlandsprodukt (Gross Domestic Product, GDP) liegt jetzt zwischen 300 und 400 Milliarden Dollar. Das ist vielleicht nur ein Zehntel im Vergleich zu den Zeiten der Sowjetunion. Aber damals machte der Militärsektor rund 75 Prozent des GDP aus. Mit dem Ende des Kalten Krieges schrumpfte die Branche stark zusammen. Das einzige, das noch funktionierte, war die Ölindustrie. Der Ölpreis war damals sehr niedrig. Es war ein Glück für Russland, dass es Öl im Land gab.
Die Industrie wurde so wichtig, weil alle anderen Bereiche darniederlagen. Nirgendwo sonst konnte man Geld verdienen. Die russische Wirtschaft wurde vom Öl abhängig. Es war ein Glüc

k für das Land, dass die Ölpreise stiegen und stiegen, weil die Exporte der einzige Geldbringer waren.

Jetzt ändert sich das langsam und auch andere Sektoren entwickeln sich. Die Abhängigkeit vom Öl ist heute viel niedriger. Wenn man den Staatssektor ausnimmt, macht das Öl nur noch 20 Prozent des GDP aus.

Offensichtlich ist das Öl noch sehr wichtig für das Land, aber die Situation ist mit der in Venezuela nicht vergleichbar. Wenn der Ölpreis sinkt, geht Venezuela bankrott. Für die russische Regierung liegt die Gewinnschwelle viel niedriger als bei den Ländern der Opec wie Saudi Arabien oder Irak. In Russland liegt sie bei 19 Dollar während die Opec-Mitglieder hierfür einen Preis von 22 Dollar brauchen.

Die Menschen reden viel von Strukturreformen, aber sind diese auch sichtbar?

Ja, aber man sieht sie im Land selbst besser als von außerhalb. Von außen wollen die Leute eine Art Revolution sehen, wie etwa Privatisierungen. Aber im Land selbst tut sich einiges, in jedem Teil des wirtschaftlichen Lebens.
Putin, der Regierungschef, will zu den ärmeren Ländern Europas wie etwa Portugal aufschließen. Um dieses Ziel zu erreichen, muss die Wirtschaft um acht bis zehn Prozent im Jahr zulegen. Um die Wachstumsraten über 10 oder 15 Jahre zu sichern, müssen Reformen eingeleitet werden. Die Regierung versteht das und steht völlig zu dieser Aufgabe.
Ein Beispiel: Die Steuern für Firmen wie für Private wurden stark gesenkt, gleichzeitig wurden mehr Steuern eingenommen. Firmen haben mehr Geld zum Ausgeben oder Investieren. Um das Wachstum langfristig zu sichern, muss die Regierung eine Mittelklasse mit kleinen und mittelgroßen Unternehmen schaffen. Es müssen Bedingungen geschaffen werden, damit sich für die Menschen das Arbeiten lohnt. Noch vor zwei oder drei Jahren wiesen die meisten Firmen rote Zahlen aus, nur um keine Steuern zahlen zu müssen. Für sie ist es einfacher und billiger geworden, sich Geld zu leihen oder woanders zu investieren.
Russland stellt heute etwa ein Zehntel der weltweiten Ölförderung. Die Sowjetunion lieferte 15 Prozent. Das heißt, es gibt noch freie Kapazitäten, ohne dass die Unternehmen erst neue Ölvorkommen erschließen müssen. Sie können auch bei einem sinkenden Ölpreis noch sehr profitabel arbeiten.

Der russische Aktienmarkt hatte ein großartiges Jahr 2002. Der Index MSCI Russia stieg in Dollar um fast 14 Prozent. Liegt diese Entwicklung nur an der Ölindustrie?

Der Ölsektor entwickelte sich gut. Aber einige andere Branchen wie zum Beispiel die Telekommunikation brachten noch viel mehr. Im russischen Aktienmarkt machen Ölwerte etwa 75 Prozent der Marktkapitalisierung aus, das ist das Problem. Wenn sich andere Zweige gut entwickeln, fällt das gar nicht so auf.

Wie kann man erklären, dass 2002 der MSCI Energy in Dollar um rund acht Prozent nachgab, während der Ölpreis von 20 auf 30 Dollar gestiegen ist?

Das ist nicht einfach zu erklären. Die Menschen sind sehr nervös und der Markt stark stimmungsgetrieben. Es gibt nicht viel Liquidität und der Markt wird sehr schwankungsanfällig. Die Stimmung hing auch sehr stark von der Situation im Mittleren Osten ab. Der Markt versucht immer, kommende Entwicklungen vorwegzunehmen. Im vergangenen Jahr dachte man, dass die USA ihren Angriff starten und dann der Ölpreis und die Gewinne fallen würden.

Wie geht es Ihrer Meinung nach mit dem Ölpreis weiter?

Die Experten aus Wellington vom Clariden Energy Anlagefonds erwarten, dass der Ölpreis mittel- und langfristig zwischen 24 und 25 Dollar liegt. Das Hauptargument dafür ist, dass die Opec-Länder hier ihre Gewinnschwelle haben.

Wo liegt der Unterschied zwischen einem Russland-Anlagefonds und einen traditionellen Öl-Fonds?

Russische Firmen sind sehr kosteneffizient und profitabel. Sie haben auch hohe Produktionssteigerungen von rund acht Prozent jährlich. Verbunden mit der Nachfrage nach russischem Öl macht das jeden Verfall des Ölpreises wieder wett. Und schließlich sind die Bewertungen noch attraktiv. Es gibt noch viel Potenzial.
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Über den Autor

Fernando Luque

Fernando Luque  ist Chefredakteur morningstar.es, Morningstar Spanien