Streit um US-Schuldengrenze

Die Risiken sind enorm, doch niemand weiß genau, was passieren wird.

Bearemy Glaser 29.07.2011
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In einem Artikel im Mai habe ich betrachtet, was passieren würde, falls die US-Schuldengrenze nicht erhöht wird. Damals sah es so aus, als ob eine Vereinbarung letztendlich zustande kommen würde. Während wir uns nun dem 2. August nähern – dem Tag, ab dem den USA laut Finanzministerium das Geld zur Begleichung ihrer Rechnungen ausgeht – ist die Möglichkeit einer Herabstufung der Kreditwürdigkeit, einer Zahlungsunfähigkeit oder beides nicht mehr von der Hand zu weisen.

Auch wenn sich das Weiße Haus und Kongressführer hitzige Diskussionen geliefert haben und mehr Lösungsvorschläge im Umlauf waren, als man vernünftig zahlen kann, gibt es keine Einigung darüber, wie man nun am besten verfahren sollte. Das sollte selbst gelegentliche Beobachter des politischen Systems in den USA nicht überraschen. Es gibt viel zu gewinnen durch ein Warten bis zur letzten Sekunde. Eine zu schnelle Einigung kann zu Vorwürfen führen, man habe nicht genug getan und nicht hart genug verhandelt. Somit besteht immer noch eine moderate Chance, dass vor Fristablauf eine Einigung zustande kommt.

Ein und dasselbe?
Derzeit liegen die führenden Vorschläge der Demokraten und Republikaner nicht so weit auseinander. Beide Pläne, sowohl die des republikanischen Verhandlungsführers John Boehner als auch die des Senats-Mehrheitsführers Harry Reid, sehen eine Kürzung diskretionärer Ausgaben in etwa in Höhe der Anhebung der Schuldengrenze vor. Beide enthalten auch die Schaffung einer Finanzkommission, die Empfehlungen für weitere Kürzungen, Pläne für einen Budgetausgleich und eine Reform der Sozialausgaben entwickeln sollen. Keiner der Vorschläge enthält Pläne für steigende Einnahmen durch neue Steuern oder die Schließung von Schlupflöchern, wie dies Präsident Obama früher verlangt hatte. Der große Unterschied liegt aber darin, dass Boehners Vorschlag zu einer weitere Abstimmung über die Schuldengrenze am Anfang nächsten Jahres führen würde, während die Schuldengrenze nach Reids Vorstellungen so weit angehoben würde, dass sie über die nächste Präsidentschaftswahl hinausreicht.

Trotz dieses relativ geringen Unterschieds besteht eine sehr reale Möglichkeit, dass die nächste Woche ohne Anhebung der Schuldengrenze anfängt. In den Reihen der Republikaner gibt es ernst zu nehmende Ablehnung gegen Boehners Vorschlag, und natürlich auch gegen die Pläne von Reid. (Eine Abstimmung über den Plan wurde am Donnerstagabend überraschend abgesagt.) Selbst wenn Boehners Vorschlag den Kongress passieren würde, müsste er Unterstützer im demokratisch dominierten Senat finden und letztendlich auch die Zustimmung des Präsidenten, um Gesetz zu werden. Ähnliche Hindernisse liegen vor dem Plan von Reid. Sicherlich ist eine Einigung möglich, aber sie würde einiges an parlamentarischen Manövern erfordern.

Alternative Lösungen
Es gibt einige alternative Wege, um die Zahlungsunfähigkeit der USA zu vermeiden, ohne die Schuldengrenze zu erhöhen. Manche verweisen auf einen etwas obskuren Teil des 14. Verfassungszusatzes, der den Vorrang von Bundesschulden garantiert. Demnach könnte die Exekutive weiterhin Schulden machen – ohne Zustimmung des Kongresses – und die Klausel als Begründung nennen. Die Anwälte des Präsidenten haben diese Option überprüft, halten sie aber nicht für ein gewinnträchtiges Argument. Daher ist sie nicht wahrscheinlich, doch man sollte nicht überrascht sein, wenn sie in letzter Minute wieder hervorgeholt wird.

Eine weitere Alternative wäre es, Zahlungen zu priorisieren, um sicherzustellen, dass Anleihenbesitzer ihre Zins- und Tilgungszahlen erhalten, selbst wenn die Schuldengrenze durchbrochen wird. Technisch würde dies eine Zahlungsunfähigkeit vermeiden, hätte aber andere Nachteile. Die Entscheidung, welche Zahlungen ausgesetzt werden sollten, ist nicht einfach. Rentner sind auf ihre Pensionszahlungen angewiesen und auch das Gesundheitssystem hängt stark von den Medicare- und Medicaid-Leistungen ab. Es ist auch schwierig, die Militärausgaben plötzlich zu kürzen. Es gibt sicherlich nicht-essentielle Leistungen, die für eine Zeit ausgesetzt werden könnten, doch ist dies kaum eine langfristig tragfähige Lösung. Zudem könnten die Ratingagenturen die Aussetzung von Zahlungen als Grund für eine Herabstufung sehen, selbst wenn Anleihen weiter bedient werden.

Was steht auf dem Spiel?
Was wären die Konsequenzen einer Herabstufung der Bonität oder eines Zahlungsausfalls? Wahr ist, dass keiner dies so genau weiß. Es gibt keinen historischen Präzedenzfall. Wird die Situation ähnlich wie bei Japan sein, als das Land sein AAA-Rating einbüßte? Damals gab es keine wesentlichen Störungen am japanischen Staatsanleihenmarkt. Allerdingst ist der US-Staatsanleihenmarkt größer und wichtiger für die globale Wirtschaft als der japanische. Und bei Japan gab es zudem keinen unmittelbar bevorstehenden Zahlungsausfall.

Oder wird es eher wie bei der Lehman-Pleite ablaufen, wo unerwartete Konsequenzen zu einer Lähmung des globalen Finanzsystems führten? Die Parallelen halten sich jedoch in Grenzen. Der Lehman-Kollaps kam unerwartet und erwischte viele Unternehmen auf dem falschen Fuß. Heute würde man davon ausgehen, dass große Finanzinstitutionen sich auf eine kurzfristige Liquiditätsklemme vorbereitet haben.

Die Wahrheit liegt wahrscheinlich zwischen den beiden Extremen. Bei einer Herabstufung wäre ein sofortiger Kollaps nicht ausgemacht. US-Staatsanleihen repräsentieren fast 60% der globalen AAA-gerateten Staatschulden. Es gibt für sie keinen einfachen Ersatz. Kein Markt verfügt über die Liquidität, um eine Flucht aus US-Papieren zu absorbieren. Langfrist wird der Verlust des AAA-Ratings allerdings zu steigenden Kreditkosten führen – auch bei Instrumenten, die an den Staatsanleihenmarkt angebunden sind. Das würde zu höheren Zinsen für Hypotheken, Kreditkarten oder Autokredite führen. Das wäre alles andere als das, was die US-Wirtschaft gerade gebrauchen kann. Ein Zahlungsausfall würde noch schlimmere Konsequenzen haben, doch die Chancen stehen gut, dass Anleihenbesitzer unabhängig von der letztendlich erreichten Vereinbarung ihr Geld bekommen.

Ein Rückgang der Staatsausgaben – durch Sparmaßnahmen oder erzwungene Kürzungen aufgrund eines Staatsbankrotts – würde sich auf das Wirtschaftswachstum zunächst negativ auswirken. Als in Großbritannien Sparmaßnahmen beschlossen wurden, um einer potentiellen Herabstufung zuvorzukommen, ging das Wachstum deutlich zurück.

Auswirkungen auf die Realwirtschaft
Die Unsicherheit belastet auch das Vertrauen von Unternehmen und Verbrauchern. Unternehmen werden keine Neueinstellungen vornehmen, wenn sie nicht auf eine wirtschaftliche Erholung vertrauen. Konsumenten werden sich mit größeren Ausgaben zurückhalten, wenn es zu wirtschaftlichen Turbulenzen kommt.

Zudem kennt niemand die Auswirkungen eines Zahlungsausfalls auf das breite Finanzsystem. Wir haben 2008 schmerzlich erfahren müssen, dass Vertrauen wichtig und ein funktionierendes Finanzsystem wesentlich für die Realwirtschaft ist. Würde ein Einbruch des Vertrauens das System erneut in seinen Grundfesten erschüttern? Niemand weiß es. Bisher sagt der Markt nein zu dieser Frage, doch könnte das daran liegen, dass die meisten Marktteilnehmer von einer Einigung in letzter Sekunde ausgehen.

Ohne Zweifel müssen die USA ihre Finanzen in Ordnung bringen. Immer mehr Geld auszugeben, das nicht erwirtschaftet wurde, ist langfristig nicht nachhaltig. Schwierige Entscheidungen stehen an, um das Land wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Die Schuldengrenze hat diesen Prozess beschleunigt. Dies führt für Anleger zu einer Zeit erhöhter Unsicherheit. Auf die eine oder andere Weise werden viele offene Fragen nächste Woche beantwortet werden.

Bearemy Glaser ist das pessimistische Alter Ego unseres Marktstrategen Jeremy Glaser. Dieser Artikel erschien ursprünglich am 28. Juli 2011 auf www.morningstar.com.

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Über den Autor

Bearemy Glaser  Bearish markets editor Bearemy Glaser is the worry-prone alter-ego of markets editor Jeremy Glaser. Each week, Bearemy will share what's topping his list of concerns and invites you to reply or add your own in the comments section below.