Anleger werden sich mit Applaus zurückhalten

Der EU-Rettungsplan lässt zu viele Fragen offen.

Bearemy Glaser 31.10.2011
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Nach einer Flut von Krisengipfeln, Gerüchten, Spekulationen über Rettungsschirme und vermutlich sehr viel nächtlichem Kaffeegenuss haben die Regierungschefs der Europäischen Union am vergangenen Donnerstag ihren großen Plan im Kampf gegen die Schuldenkrise vorgelegt. Nach der ersten Euphorie – Euroland-Bankaktien legten am Donnerstag zweistellig zu, der Euro Stoxx 50 brachte es auf ein Plus von rund sechs Prozent – haben am Montag die Pessimisten wieder die Überhand gewonnen. Die Kurse sacken aktuell wieder ab.

War also der Überschwang verfrüht? Auch wenn der Rettungsplan ein Schritt in die richtige Richtung ist, lässt er viele wichtige Fragen unbeantwortet. Es gibt jede Menge Unklarheiten, und die Märkte hassen nichts mehr als die Ungewissheit. Aus meiner Sicht fassen folgende fünf Punkte den Stand der Dinge in Sachen Eurokrise zusammen:

Griechenland ist definitiv pleite

Griechenland wird seine derzeitigen Schulden nie zurückzahlen können. Jeder Rettungsplan muss die Belastung also so verringern, dass das Land zum einen nicht zusammenbricht und zum anderen wieder eine Chance bekommt, wachsen zu können. Die europäischen Staats- und Regierungschefs waren zuletzt sehr nah dran, diese Wahrheit zu akzeptieren. Doch der jüngste Rettungsplan zieht eben nicht die notwendigen Konsequenzen aus dieser Wahrheit.

Die Schlagzeilen verkündeten nach der Donnerstagnacht-Einigung, dass die Gläubiger einen Abschlag von 50% auf den Nennwert ihrer griechischen Staatsanleihen hinnehmen werden. Aber diese Schlagzeile sollte mit einer oder zwei Fußnoten versehen werden. Leider geht der Plan nach wie vor von der Fiktion aus, dass Griechenland nicht pleite ist, sondern stellt eine Teilnahme am Schuldenschnitt als freiwillige Leistung heraus. Das ist insofern problematisch, dass der EU-Deal mit der Banken-Lobby, dem Institute of International Finance (IIF), keine Garantie enthält, dass die IIF-Mitgliedsinstitute die Abschreibungen auch tatsächlich implementieren werden. Wenn einige Banken es für realistisch halten, einen besseren Deal machen zu können, dann werden sie nachverhandeln. Und die Banker wissen genau, dass die EU keine formale Insolvenz Griechenlands will. Das gibt ihnen einen gewissen Einfluss und somit einiges an Verhinderungspotenzial. Erinnern Sie sich: Es ist nicht so lange her, dass viele Banken sogar einen 20%-igen Abschlag ablehnten, der in früheren Gesprächen aufgeworfen wurde. Ich denke, es ist durchaus möglich, dass noch nicht das letzte Wort in der Sache gefallen ist!

Außerdem gibt es keine formelle Vereinbarung, wie die Abschreibungen in der Realität implementiert werden sollen. Welche Ansprüche werden die Banken in Zukunft gegen Griechenland haben? Gibt es Versicherungen, die einen möglichen Ausfall abdecken, wenn Griechenland auch die neu ausgehandelten Kredite nicht bedienen kann? Wer müsste in dem Fall einspringen? Alle diese offenen Punkte könnten den Deal zum entgleisen bringen.

Banken brauchen mehr Kapital

Europa hat die Banken aufgerufen, ihre Kernkapitalquote auf 9% zu steigern. Diese Größenordnung ist ordentlich und wird den Banken tatsächlich mehr Raum zum Atmen geben, sollte die Krise eskalieren oder sich eine Kreditklemme materialisieren. Dass der Weg zur Eigenkapital-Beschaffung nicht beschrieben wird, ist indes problematisch. Die EU hofft, dass die meisten Banken in der Lage sein werden, sich zusätzliches Kapital bei Privatinvestoren zu beschaffen. Allerdings stehen heute die wenigsten Investoren Schlange, um Kapitalhungrige Banken zu rekapitalisieren.

Und wenn eine Bank nicht in der Lage sein wird, aus eigener Kraft die 9%-Schwelle zu erreichen, dann wird sie sich an ihre nationale Regierung und an die EU-Schicksalsgemeinschaft wenden. Aber wo wird das Geld herkommen? Zu welchen Konditionen wird es gewährt? Wenn sich im Bankensektor Hoffnungslosigkeit breit macht, dann werden die schieren Volumina der Banken-Rettungspakete atemberaubende Dimensionen annehmen.

Diese Probleme sind lösbar, sofern genügend Bargeld vorhanden ist. Aber wenn das Vertrauen in das Bankensystem schwindet, dann müssen die Fragen nach den Dimensionen und den Konditionen eher früher als später beantwortet werden. Einen Stabilisierungsmechanismus für die Banken in der Mitte einer Krise zu schaffen, ist nichts, was wir noch einmal versuchen sollten!

Das Ganze wird schlicht atemberaubend teuer

Die politischen Entscheidungsträger haben sich den realistischen Dimensionen der Gesamtkosten der Rettungsaktionen angenähert. Die Eurozone hat sich verpflichtet, den EFSF so zu hebeln, dass er seine Ressourcen bis auf den Faktor 4 oder 5 der aktuellen Summe von 440 Milliarden Euro strecken kann. In Aktion treten kann der EFSF entweder, indem er Anleihen versichert, anstatt sie zu kaufen. Oder aber er sammelt die Gelder von Investoren ein, wahrscheinlich von solchen aus den Schwellenländern.

Aber - auch hier – steht die Implementierung dieser Szenarien in den Sternen. Es gab Gerüchte, wonach China sich bereit erklärt haben soll, zu investieren. Aber das Geschäft ist bei weitem nicht abgeschlossen. Aber seien wir optimistisch: Immerhin ist die Erkenntnis, dass der Fonds in seiner ersten Fassung zu klein geraten war, ist ein Schritt in die richtige Richtung!

Langfristiges Denken ist gefragt

Hier scheitert der Plan auf ganzer Linie. Der Text des mitternächtlich gestrickten Rettungsplans strotzt vor Plattitüden über die Notwendigkeit, eine Vertiefung der Zusammenarbeit innerhalb der EU  in der Fiskalpolitik vorzunehmen, um den Euro zu retten. Wenig Konkretes ist aber darüber hinaus verkündet worden. Ideen wie "regelmäßige Sitzungen" zu halten oder sich zu verpflichten, "externen Sachverstand in angemessener Weise auf Ad-hoc-Basis hinzuzuziehen", sind nicht dazu angetan, das Vertrauen in eine langfristige Lösung des Problems zu schaffen.

Wenn Europa verhindern will, dass die Schuldenkrise immer wieder ihre hässliche Fratze zeigt, dann wird es Wege finden müssen, um einen Interessenausgleich zu schaffen und zugleich angemessene Sanktionen für die Staaten zu definieren, die auf der Ausgabenseite über die Stränge schlagen.

Der Plan muss flexibel sein

Die Summe der offenen Fragen bedeutet, dass der Plan immerhin eines ist: sehr flexibel. Angesichts der Tatsache, dass fast alles, was die Staats-und Regierungschefs vereinbart haben, entweder noch festgelegt werden muss, verhandelbar ist, oder bloße Rhetorik darstellt, sollte es recht einfach sein, auf neue Entwicklungen flexibel zu reagieren. Ob die Europäische Gemeinschaft tatsächlich in der Lage sein wird, flexible Maßnahmen auch umzusetzen, steht auf einem anderen Blatt. Aber wenigstens – wiederum optimistisch formuliert – schließt die Vereinbarung vom vergangenen Donnerstag kaum Heilmittel gegen die Krise aus. Eine bemerkenswerte Ausnahme ist der Widerstand gegen den Plan, die Europäischen Zentralbank in die Rettungsaktion einzubeziehen. Aber die Erfahrung zeigt, dass man auch das nicht bei einer erneuten Verschärfung der Euro-Krise definitiv ausschließen sollte.

Alles in allem war der Deal der Regierungschefs viel besser, als es die vielen pessimistischen Szenarien, die im Vorfeld kursierten, befürchten ließ. Aber angesichts der enormen Anzahl der Fragezeichen rund um den Rettungsplan und der vielen Imponderabilien (die alle ein Scheitern nach sich ziehen könnten), dürfte der Beifall der meisten Anleger weiter sehr zurückhaltend ausfallen. Zumindest so lange, bis der Euro-Rettungsplan konkreter wird und die Frage beantwortet wird, wie Europa wieder auf den Wachstumspfad wieder zurückkehren will.

 

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Über den Autor

Bearemy Glaser  Bearish markets editor Bearemy Glaser is the worry-prone alter-ego of markets editor Jeremy Glaser. Each week, Bearemy will share what's topping his list of concerns and invites you to reply or add your own in the comments section below.