Die ETF-Agenda 2012

Die erste Morningstar ETF Europa-Konferenz lieferte einen fundierten Überblick über die ETF-Branche. Wir fassen in unserem Konferenzbericht die wichtigsten Themen für Anleger in 10 Punkten zusammen.

Ali Masarwah 25.10.2012
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Die erste Morningstar ETF-Europa-Konferenz am 23. und 24. Oktober in Mailand brachte Investoren und die wichtigen Vertreter der ETF-Branche zusammen (Lesen Sie hier mehr zu unserer Konferenz). Im Rahmen von zahlreichen Gesprächsrunden und Vorträgen wurden die wichtigsten Themen aufbereitet, die Investoren heute bewegen. Da die Veranstaltung fachlich vom europäischen Morningstar Analystenteam geleitet wurde, war das Motto „Investors first“ der Leitfaden des Events. Eine Zusammenfassung in 10 Punkten:


1.    Das Wachstum der ETF-Branche in Europa hat sich in den vergangenen 2 Jahren merklich abgekühlt und das, obwohl nur rund 4-5% des in Fonds verwalteten Vermögens europaweit in ETFs investiert  ist. Müssen sich Investoren darauf einstellen, dass ETFs nur Eintagsfliegen sind?

Nein. ETFs sind – ungeachtet des noch niedrigen Marktanteils der Indexprodukte – ein nicht wegzudenkender Bestandteil der Vermögensverwaltung. Es ist heute tatsächlich nicht alles gut im europäischen ETF-Markt, aber die Experten sind sich einig, dass das eher eine Verschnaufpause darstellt als ein nachhaltiger Einbruch. „Es ist nichts falsch gelaufen und es gibt keinen Grund daran zu zweifeln, dass ETFs auch in Europa ihren Siegeszug antreten werden“, sagt Scott Burns, Director of Fund Analysis bei Morningstar. Thorsten Michalik, Leiter der ETF-Sparte der Deutschen Bank, macht darauf aufmerksam, dass sich ETFs im Vergleich zu Aktien und anderen Anlageprodukten sogar sehr gut geschlagen haben: „Anders als bei aktiven Fonds sehen wir immerhin noch Nettomittelzuflüsse“, so Michalik. Insgesamt, so der Tenor der ETF-Experten, drücken die schwierigen Kapitalmarktbedingungen auf die Anlegerstimmung in Europa. Das führt zu großer Zurückhaltung.

2.    Warum werden sich ETFs in Zukunft häufiger in Anlegerportfolios finden?

Es gibt etliche Argumente für die Verbreitung von ETFs, die allerdings nicht unbedingt komplementär sind. Der Morningstar-Chef-Analyst erwartet, dass in erster Linie regulatorische Veränderungen in Europa der Indexfondsbranche einen Schub geben werden. „In den USA hatten wir im Zuge der Etablierung von neuen Beratungsmodellen ab 2004, die sich weg von der provisionsbasierten Vertriebsvergütung bewegen, einen großen Schub“, so Scott Burns. Er prognostiziert eine ähnliche Entwicklung für Europa in den kommenden Jahren. Anders gelagert sind die Erwartungen der ETF-Anbieter, die tendenziell eine Fortsetzung des bisherigen Paradigmas sehen: die Dominanz der institutionellen Investoren, die rund 90% des europäischen Asset-Management-Markts ausmachen. Auch die Manager aktiver Fonds würden immer weniger um ETFs herumkommen, so der Tenor. Doch egal, ob direkt oder über den Umweg von Dachfonds und anderer Vermögensverwaltungsprodukte: Auf unserer Mailänder ETF-Konferenz herrschte Konsens über die künftige Verbreitung von ETFs.

3.    Ist der Krieg zwischen den Anbietern von Swap-ETFs und physisch replizierenden ETFs vorbei?

Ja und nein. Der vorwiegend zwischen iShares auf der einen und Lyxor und db X-trackers auf der anderen Seite ausgetragene Disput wird heute vom schwierigen Marktumfeld eher überlagert als dass er beendet wäre. Aber vielleicht muss die Frage ja anders gestellt werden, jetzt, wo mittlerweile klar ist, dass alle großen ETF-Anbieter beide Replikationsmethoden anwenden bzw. künftig anwenden werden. Sie sollte eher lauten: „Ist der Wettbewerb zwischen den ETF-Anbietern aufgehoben?“. Natürlich nicht, lautet die Antwort! Da der ETF-Markt sehr wettbewerbsintensiv ist und sich die Konkurrenz künftig im Zuge des Markteintritts weiterer Akteure in Europa – Vanguard lässt grüßen – eher noch verschärfen wird, werden die ETF-Anbieter alle nur erdenklichen Register ziehen, um ihre tatsächlichen und vermeintlichen Vorteile hervorzuheben. Dafür werden iShares, db X-trackers, Lyxor und Co. im Bedarfsfall natürlich wieder auf die Swap- bzw. Full-Replication-Keule zurückgreifen. Für den Anleger ist es indes wichtig zu wissen: Es kommt auf die Güte der Replikation und die Bewertung der Markt- und Kontrahenten-Risiken an, die er einzugehen bereit ist. Die lautstark vorgetragenen Positionierungsversuche der konkurrierenden Anbieter sind das übliche Getöse am Rande, dem Investoren nicht allzu große Bedeutung beimessen sollten.

4.    Ist heute absehbar, welche Veränderungen in der ETF-Branche anstehen?

Abgesehen von der oben erwähnten Expansion von Lyxor und db X-trackers in die Welt der physischen Replikation deutet sich auch eine Konsolidierung an. Hartnäckige Gerüchte lassen vermuten, dass sich Credit Suisse von seiner ETF-Sparte trennen wird. Die Entwicklung der Geldflüsse dürfte in den kommenden Monaten die Sinnfrage auch bei etlichen mittelgroßen Anbietern in Europa akuter werden lassen. Für Anleger heißt das: Aufmerksam beobachten, wie sich das verwaltete Vermögen ihres ETFs entwickelt. Bei längerer Stagnation auf niedrigem Niveau dürften Anbieter zumindest mittelfristig eine Schließung ins Auge fassen. Anleger sollten auch sehr genau darauf achten, ob ETF-Anbieter Ausflüge außerhalb ihrer ureigenen Spielwiese unternehmen. Dass beispielsweise ETFSecurities Marktführer bei Rohstoff-ETCs ist, bringt nicht automatisch auch Erfolg im Bereich Aktien mit sich – die Briten mussten mangels Masse bereits etliche Aktien-ETFs vom Markt nehmen. In den USA musste Russell Investments ebenso wie in Europa die spanische BBVA mangels Masse einen Großteil ihrer ETFs vom Markt nehmen. Diese Konsolidierung kommt früh, ist aber eine ganz normale Begleiterscheinung eines sich dynamisch entwickelnden Markts. Dass gleichzeitig neue Akteure den Markt betreten werden, steht dazu nicht im Widerspruch. Interessant ist in diesem Kontext die Frage, welchen Impact der Markteintritt von Vanguard in Europa haben wird, der in den USA derzeit den Markt mit Kampfpreisen aufrollt.

5.    Welche Bedingungen herrschen heute an den Kapitalmärkten und welche Lösungen suchen Anleger auf der Produktseite?

Die sich abzeichnende Konjunkturflaute und die nach wie vor akute Staatsschuldenkrise werden die Märkte weiter in Atem halten. „Es wird für die Eurozone schwierig, aber es ist zu schaffen“, so Andrew Bosomworth, Head of Portfolio Management bei PIMCO in Europa. Prägend für Investoren seien die veränderten Rahmenbedingungen an den Kapitalmärkten, so Stephen Cohen, Chef-Investmentstratege iShares EMEA. Er sieht die Entwicklungen in diesem Jahr als Vorgeschmack für das, was Anleger künftig auf den Aktien- und Rentenmärkten erwarten müssen: deutlich verkürzte Investment-Zyklen, was eine Folge der Kombination aus niedrigem Wirtschaftswachstum und einer lockeren Geldpolitik weltweit sei. „Die Konsequenzen sehen wir heute an den Anleihemärkten: Die realen Renditen sicherer Anleihen sind inzwischen in negatives Terrain gerutscht“. Deshalb würden renditehungrige Investoren höher verzinsliche Anlagen suchen, vor allem Unternehmensanleihen, aber auch Emerging-Markets-Bonds und Dividenden-Strategien auf der Aktienseite. In dieser Ära der so genannten „financial repression“ würden ETFs auch wegen ihrer niedrigen Kosten profitieren.

6.    Wie sehen bei ETFs die Produkttrends der Zukunft aus?

Bonds, Bonds und nochmal Bonds, so der Tenor auf unserer ETF-Konferenz. Scott Ebner, Head of Global ETF Product Development & Research bei SPDR ETFs, erwartet, dass Anleger in den nächsten 10 Jahren besonders stark auf Fixed-Income-ETFs setzen werden, vor allem auf höher verzinsliche Indizes. Allerdings habe das auch mit der Genese der ETF-Industrie zu tun, die über lange Zeit vor allem auf die Aktienseite fokussiert war. Das, so Ebner, spiegele aber nicht die Realität der Anlegerportfolios in Europa wider, die von Bonds dominiert werden. Laut Nizam Hamid, Deputy Head of Lyxor ETF, sind Investoren derzeit vor allem defensiv motiviert, auch wenn sie faktisch auf der Rentenseite höhere Risiken eingingen. „Anleger wollen heute vor allem das Risiko managen, nicht zuletzt deshalb kaufen sie auch ETFs auf Dividenden-Aktien“, so Hamid.

7.    Erschließt sich die ETF-Industrie neue Anlegergruppen durch eine verstärkte Auflage von Bond-ETFs?

Derzeit eher nicht, so der Tenor der ETF-Experten. „Es sind heute eher die Bestandsanleger, die auch die Bond-Seite hervorheben, traditionelle Bond-Investoren tätigen auch heute eher Direktanlagen und sind mit Blick auf ETFs noch an der Seitenlinie“, so Blanca König, Director Fixed Income, bei BlackRock. „Institutionelle Investoren sind viel eher bereit, Aktien-ETFs einzusetzen als mit Bond-ETFs zu experimentieren“, so Michael John Lytle, Managing Director und Gründungspartner von Source. Das könnte sich allerdings ändern, so die Bond-ETF-Anbieter, wobei hier vermutlich eine gehörige Portion Zweckoptimismus im Spiel ist. Denn eines ist klar: Aktive Bond-Fonds haben bei weitem nicht so einen schweren Stand wie aktive Aktienfonds. Das Großteil der Neugelder in High Yields fließt derzeit in aktive Fonds, nicht in ETFs. Bond-ETFs machen nach wie vor nur einen sehr kleinen Bestandteil des Bond-Fondsmarkts aus. Das gilt für Staatsanleihen und noch viel mehr für Unternehmensanleihen und Hochzinspapiere. Der Grund: Bond-Märkte sind viel illiquider und intransparenter als ihre Aktien-Pendants, Investoren sehen hier aktive Manager offenbar im Vorteil.

8.    Wie groß ist die Spielwiese auf der Anleihenseite? Gibt es Bedarf nach neuen Bond-Produkten?

Da der Bedarf der Investoren nach Bond-Produkten sehr groß ist, ist auf der Produktseite vieles denkbar. Theoretisch jedenfalls. Source-Gründer Lytle sieht gerade wegen der Intransparenz und der begrenzten Liquidität der Bond-Märkte noch viel Spielraum für Innovationen. Das verwundert nicht, da Source stark auf Nischenprodukte setzt und dabei auch etliche Erfolge vorzuweisen hat, etwa in Zusammenarbeit mit PIMCO. Ein Ansatz auf der Bond-Seite ist dabei die Auflage von fundamental gewichteten ETFs, die nicht die größten Schuldner am höchsten gewichten, sondern etwa das Bruttoinlandsprodukt als Gewichtungskriterium hervorheben. Auch Anleger äußerten auf der Konferenz das Bedürfnis nach neuen Produkten. „Ich sehe noch Bedarf nach Bond-ETFs, die Unternehmensanleihen von Emerging Markets nach Sektoren abbilden“, sagte etwa Markus Kaiser, Fondsmanager und Geschäftsführer von Veritas Investments. Allerdings gibt es bei alternativ gewichteten Bond-Indizes Grenzen. Man stelle sich vor, alle Welt würde ab morgen nur noch in die verbliebenen „AAA“-Euro-Staatsanleihen investieren. Was den deutschen Finanzminister freuen dürfte, könnte seinen finnischen Kollegen, deren Bond-Markt ungleich kleiner ist, Probleme bereiten.

9.    Und was ist mit aktiv verwalteten ETFs? Gehört diesen Produkten die Zukunft?

Nicht unbedingt. Selbst die Vertreter der ETF-Industrie glauben, dass die Innovationsdynamik der Branche mit Blick auf aktive Produkte eher gedämpft sein wird. Auf einem Panel mit Industrievertretern herrschte überraschende Übereinstimmung zwischen den Sprechern von Lyxor, db X-trackers, iShares/BlackRock und State Street Global Advisors mit Blick auf aktive ETFs. Aktive ETFs verpacken – kurz gesagt – eine Strategie eines aktiven Fondsmanagers und machen ihn börsenfähig. In den USA hat etwa ein Klon des erfolgreichen PIMCO Total Return Bond in kurzer Zeit rund 2,5 Milliarden US-Dollar eingesammelt. „Ich bin kein Freund von aktiven ETFs“, so Thorsten Michalik, Head of db X-trackers. Er sieht Komplikationen im Handel als wichtiges Hindernis für die Verbreitung von aktive ETFs. Auch seien aktive Manager wenig bereit, aller Welt laufend ihre Portfolios offen zu legen. Allerdings ist hier ein wenig Differenzierung nötig: Unter aktiven ETFs kann man auch die zahlreichen regelbasierten Portfolios verstehen, die Indizes abbilden, die nicht marktkapitalisierungsgewichtet sind. So genannte Smart-Beta-ETFs, die etwa Gleichgewichtungsstrategien oder makroökonomische Faktoren in den Vordergrund stellen bei der Gewichtung, haben auch das Ziel, die herkömmlichen Indizes outzuperformen. Insofern dürfte man in der Zukunft mehr Smart-Beta-ETFs sehen als ETFs, die aktive Strategien „verpacken“, um sie börsenfähig zu machen.

10.    Können ETFs überhaupt Outperformance liefern? Anders gefragt: Werden Smart-Beta Produkte aktiven Managern Konkurrenz machen?

Ja und jein. „Ja“ mit Blick auf die Konkurrenz zu aktiven Fondsmanagern, die bereits heute erkennbar ist. Der Trend geht immer stärker in Richtung Smart Beta Strategien, die auf systematischen Prozessen basieren. Beispiele gibt es genug: Fundamental gewichtete Aktien-Indizes, die nicht nach Marktkapitalisierung gestrickt sind, existieren schon seit einigen Jahren. Die Rafi-Indizes und die darauf basierenden Produkte von Lyxor und PowerShares sind stark bewertungsorientiert und damit value-lastig. Seit 2011 sind auch verstärkt Minimum-Variance-, Gleichgewichtungs- und Dividendenstrategien auf den Markt gekommen. ETFs wildern also eindeutig im Terrain von diskretionären Managern. „Jein“ lautet allerdings die Antwort auf die Frage, ob diese ETFs auch tatsächlich bessere Renditen liefern werden als marktkapitalisierungsgewichtete Indizes. Es hapert im wesentlichen bei dem Timing der Auflage. Derartige Produkte kommen in der Regel als Reaktion auf Krisen auf den Markt  – und diese sind dann Geschichte. Die Frage lautet dann: Verlaufen die Krisen der Zukunft nach identischen Mustern? Hier ist Skepsis angesagt. Rafi-ETFs kamen beispielsweise als Reaktion auf die Bewertungs-Bubble der High-Tech-Zeit auf den Markt. Was 2001 und 2002 funktioniert hätte, enttäuschte ab 2004 indes. Rafi-Produkte mussten vor allem ab 2007 Federn lassen – sie kamen mit Momentum-Märkten nicht zurecht und litten dazu noch übermäßig unter der Finanzkrise 2008. Gleichgewichtungsansätze auf der Aktienseite wiederum haben immer dann einen Nachteil, wenn Standardwerte besser laufen als Nebenwerte. Seitdem derartige ETFs auf den Markt kommen, hat sich der Wind gedreht: Seit gut 18 Monaten sind an der Börse vor allem Blue Chips gefragt, weshalb klassische Indizes Gleichgewichtungsprodukten enteilen. „Anleger sollten Smart-Beta-ETs deshalb nicht taktisch-kurzfristig einsetzen, sondern als Kernbestandteil des Portfolios verwenden. Sie sollten als Diversifikationsinstrument verstanden werden“, so der Rat von Douglas K. Gratz, Asscociate Director bei Research Affiliates.

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Über den Autor

Ali Masarwah

Ali Masarwah  Ali Masarwah war von 2011 bis Frühjahr 2021 als Chefredakteur für die deutschsprachigen Anleger Websites von Morningstar verantwortlich