Sieben Thesen zur Zukunft des Asset Managements

Auf einem Morningstar Workshop in Frankfurt mit dem Titel „Konsolidierung, Wachstum, Wandel“ wurden die Trends in der Asset Management Industrie thematisiert. Eine Übersicht.  

Ali Masarwah 23.03.2018
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Es mag vermessen erscheinen, angesichts der Rekordzahlen, die die europäische Fondsbranche im vergangenen Jahr hingelegt hat, von einer „Krise“ zu sprechen. Tatsächlich sind jedoch viele Beobachter sehr schnell mit solchen Charakterisierungen dabei, einmal, weil das natürlich Aufmerksamkeit verspricht (auch Consultants und Analysten müssen in eigener Sache trommeln, und das tut man, indem man Schlagzeilen produziert.). Zum anderen ist allerdings unbestritten, dass sich in der Branche Trends abzeichnen, die durchaus das Zeug zu tektonischen Verschiebungen haben. 2016 war ein mieses Jahr für aktiv verwaltete Produkte, die unter Underperformance-Problemen und Mittelabflüssen litten, und auch im vergangenen Jahr kauften passive Fonds den aktiven im Vertrieb den Schneid ab

Es gibt also gute Gründe, den Trends in der Branche auf den Grund zu gehen. Das haben wir auf einem Workshop auf der Pre-Morningstar Awards Konferenz in Anfang März getan. „Asset Management 2020: Konsolidierung, Wachstum, Wandel“ war der Titel der Veranstaltung, die mit gut 40 Teilnehmern überaus gut besucht war. (Der Titel zeigt, dass auch ich natürlich versucht habe zu klappern, hoffentlich jedoch ohne handwerkliche Fehler!). Sieben Thesen wurden dabei diskutiert, die ich in Kürze vorstellen möchte. 

1. Der Markt hat immer Recht!

Hier handelt es sich nicht um eine apodiktisch-marxistische Aussage, sondern um eine sprichwörtliche Binse, die allerdings den allmächtigen Treiber der Industrie enthüllt. Der Markt ist das A und O im Asset Management - auch für Investoren. Der Markt illustriert die Verwundbarkeit der Industrie und zeigt auch, warum es der Branche heute so gut geht. Zum einen entscheidet die Entwicklung des Kapitalmarkts über die Höhe der Vermögenswerte in Fonds, die wiederum die entscheidende Referenzgrösse für die Erträge der Fondshäuser sind. Wenn der Markt um 40 Prozent steigt, dann schiessen die Erträge der Fondsbranche in die Höhe -- übrigens auch die der Vertriebe. Ein Absturz um 40 Prozent wirkt sich entsprechend verheerend aus. Deshalb kann die Fondsindustrie bei steigenden Asset-Preisen ein schwaches Absatzjahr wie 2016 spielend wegstecken. 2008 und auch 2002 sah das vollkommen anders aus. Damals drohten aufgrund von Marktkorrekturen UND Mittelabflüssen Geschäftsmodelle zu kippen. 

Auch auf der Mikro-Ebene ist der Markt von entscheidender Bedeutung. Er ist die Benchmark für aktive Manager. Und er ist zugleich die Referenzgrösse für Anleger. Sie folgen gebannt den Nachrichten über Anstieg und Fall des SMI oder Dow Jones. Zunehmend ist der Markt auch eine 1:1-Übersetzung der Anlageerfahrung der Investoren, die zunehmend passiv investieren. (Und, wie wir alle wissen, steigt der Marktanteil der passiven Anlagevehikel unaufhörlich.)

Das alles spricht dafür, dass der Kapitalmarkt die entscheidende Referenzgröße für alle Teilnehmer am Anlageprozess ist und bleiben wird. Das gilt für Aktien-, Obligationen- und Mischfonds. Und das impliziert ferner, dass alternative Fonds, deren Ziel es ist, unabhängig vom Kapitalmarkt absolute Erträge zu erzielen, eher ein Nischendasein fristen werden im Vergleich zu den grossen Asset-Klassen. (Was freilich nicht heisst, dass sie diese Nische nicht erfolgreich gegen passive Investmentvehikel werden verteidigen können!).

2. Die Kostensensitivität erfasst nach und nach immer mehr Investorengruppen

Auch hier handelt es sich um eine Binse. Diese These wird oft gleichgesetzt mit der wachsenden Bedeutung von Indexfonds. Das ist auch richtig, greift aber doch zu kurz. Denn in Zeiten tiefster Zinsen erfassen immer mehr Anleger, wie wichtig es ist, die Gebühren von Anlageprodukten zu begrenzen. Das hat zur Folge, dass alles, was teuer ist (oder als teuer wahrgenommen wird) auf den Prüfstein kommt. Eine Folge: Die Gebühren für Fonds sinken. Zwar nicht stark, aber doch stetig.

Neben der zunehmenden Passivierung ihrer Investments prüfen Anleger zudem immer stärker, ob nicht aktive Anlagefonds durch günstige Faktor-Exposures substituiert werden können – Stichwort „Smart“ Beta. Auch im Wealth Management sind die Gebühren im Sinkflug, was auch durch die Proliferation von so genannten Robo Advisor getrieben wird, die nicht immer günstig, aber doch immerhin günstiger als herkömmliche Vermögensverwaltungsmandate sind. Und nein: Robo Advisor sind nicht nur für kleine Lichter wie mich relevant, sondern sie werden durchaus auch von sehr vermögenden Kunden als mögliches Substitut für den teuren Privatkundenbetreuer gesehen.

3. Faktor Investments werden immer mehr zum Trend

Diese These impliziert, dass das Alpha, also der Stoff, aus dem der Mythos des aktiven Fondsmanagements gestrickt ist, immer mehr als eben das entlarvt wird: als Mythos. In Zeiten des dramatischen technologischen Fortschritts sind Analysetools immer mehr in der Lage, den Rendite-Quellen von Fonds auf die Spur zu kommen. Was wiederum bedeutet, dass Asset Management immer weniger als Kunst und immer mehr als Handwerk angesehen wird. Und somit als substituierbar durch semi-passive Ansätze, die vorgeben, dasselbe auf günstige Art leisten zu können wie teure Fondsmanager. 

4. Die Regulierungswelle rollt weiter – auch nach Mifid II

Nein, es wird keine Pause geben, auch wenn viele gut informierte Köpfe in der Asset Management Industrie glauben, dass es nun genug sei. Doch es gibt keinen Grund zu glauben, dass nur deshalb nicht weiter an der Regulierungsschraube gedreht wird, weil bereits viel reguliert wurde. Glauben Sie etwa, dass die vielen, vielen neuen Angestellten bei der ESMA, Eiopa und Co. jetzt die Hände in den Schoss legen und den lieben Gott einen guten Mann sein lassen werden? Weit gefehlt: Diese vielen hochmotivierten Mitarbeiter wollen doch beschäftigt werden! Als habe das eines Beweises bedurft, hat die Europäische Kommission erst vor wenigen Tagen durchblicken lassen, dass sie den Empfehlungen einer Arbeitsgruppe folgen könnte und die Asset Management Industrie auf die verbindliche Einhaltung von Nachhaltigkeitskriterien bei der Kapitalanlage verpflichten werde. 

5. Robo Advisor fordern das Wealth Management zunehmend heraus

Was waren die Zeiten vor 2008 für die Finanzdienstleistungsindustrie schön: Die Banken haben vermögenden und weniger vermögenden Kunden teure hauseigene Produkte in die Portfolios gedrückt. Und die Asset Manager mussten sich nicht wirklich darum bemühen, konkurrenzfähige Produkte zu liefern -- Hauptsache, es wurde geliefert! Heute sind die Wealth Manager im Begriff, sich aus der unheiligen Allianz mit ihren Asset Managern zu lösen, und es kommen immer mehr standardisierte Asset Allocation Lösungen zustande. 

Angetrieben wird diese Entwicklung durch automatisierte Vermögensverwaltungen, vulgo: Robo Advisor. Bevor nunmehr die Verantwortlichen in den Banktürmen verächtlich ob der Mini-Volumina von Scalable, Whitebox, Fintego und Co. die Lippen schürzen sollten sie bedenken, dass der weltweit grösste Robo Advisor unter dem Namen Vanguard Personal Advisor firmiert, der gut zwei Jahre nach seinem Start in den USA bereits ein Vermögen von über 100 Milliarden US-Dollar aufweist. Das ist der Stoff, aus dem Herausforderer der alten Industrie gemacht ist!

6. Künstliche Intelligenz für die (geschäftsmodellschonende) Effizienz herkömmlicher Geschäftsmodelle

Bisher hierher waren die Thesen eine Art Doomsday-Szenario-Collection. Jetzt wird es kommod: Auch die Finanzdienstleistungsindustrie profitiert – wenn auch in unterschiedlichem Ausmass, also je nach F&E Budget – vom technologischen Fortschritt. Automatisierungsprozesse und komplexe Datenverarbeitungsprozesse sind heute ein Muss für die Industrie. Dazu gehört nicht nur der Einsatz von Bots oder Hochgeschwindigkeitsrechnern, sondern auch der Einstieg in die künstliche Intelligenz. Beispielsweise setzen wir bei Morningstar inzwischen auf die Replikation von unseren qualitativen Aktien- und Fondsanalyseverfahren durch lernende Maschinen. Nicht um Menschen zu ersetzen, sondern um eine vielfach breitere Abdeckung von Märkten und Produkten mit unserem qualitativen Research zu ermöglichen.

7. ESG: Vom Luxus der Wenigen zur Notwendigkeit für die Allgemeinheit

Nachhaltiges Investieren ist das Gebot der Stunde in der Vermögensverwaltung! Wichtig wäre, dass das die Industrie auch wirklich begreift. Sie bemängelt sehr häufig– teils zu Recht – das Desinteresse der Allgemeinheit an dem, was sie tut. Sie hat nun die einmalige Chance, sich aus der Jammerecke zu bewegen und sich nicht mehr über den „Finanzanalphabetismus“ der Bevölkerung zu beklagen, sondern sich als echter Lösungsanbieter ins Spiel zu bringen! (Achtung: Das ist nicht identisch mit der heißen Luft, die die Marketing-Maschinen der Branche seit Jahren produzieren, wenn sie die Dienstleistungen ihrer Firmen als „Lösungen“ verkaufen!).

Kunden legen heute immer mehr Wert auf die Einhaltung nachhaltiger Kriterien beim Investieren, und die Asset Management Branche hat das Zeug, diese Erwartungen zu erfüllen. Sie sollte mit dieser Aufgabe verantwortungsvoll umgehen und auf die Entwicklung substanzieller ESG-Dienstleistungen abzielen. Übrigens sprechen die oben angesprochenen Entwicklungen auf der EU-Ebene dafür, dass ESG-Investmentvorschriften der Branche ohnehin vom Gesetzgeber künftig ins Pflichtenheft diktiert werden. Nutzen Sie also die Chance proaktiv, der First-Mover hat den Vorteil!

 

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Über den Autor

Ali Masarwah

Ali Masarwah  Ali Masarwah war von 2011 bis Frühjahr 2021 als Chefredakteur für die deutschsprachigen Anleger Websites von Morningstar verantwortlich