Werden verkappte Indexfonds endlich abgestraft?

In diesem Jahr ziehen Anleger viel Geld aus aktiv verwalteten Aktienfonds ab. Werden endlich die verkappten Indexfonds abgestraft, die laut Meinung vieler Beobachter das grösste Übel der Investmentwelt sind? Wir haben uns das Profil prominenter Fonds angeschaut.

Ali Masarwah 21.11.2018
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Neulich sprach mich eine Kollegin an, die spitzbekommen hatte, dass ich regelmässig die Mittelflüsse in Fonds europaweit analysiere. Jetzt, wo sich die Märkte von ihrer unfreundlichen Seite zeigten, würden doch sicherlich die verkappten Indexfonds, die hohe Gebühren für mässige Leistungen erheben, in grossem Stil aus Anlegerportfolios geworfen, fragte sie mich. Weil ich keine Zeit hatte für eine längere Diskussion, gab ich ihr eine ziemlich phantasielose Antwort, nach dem Motto: In Zeiten günstiger Indexfonds dürften semi-aktive Fonds mittelfristig Probleme bekommen. Und ich eilte weiter zur nächsten Besprechung. 

Doch die Frage, ob jetzt wirklich das letzte Stündlein der so genannten Closet Indexer geschlagen habe, hatte ich im Ohr - und wurde sie nicht mehr los. Und natürlich musste ich nachschauen, ob die semi-aktiven Fonds, die als geborene Verlierer Tag für Tag die Renditen der Anleger schmälern, wirklich verstärkt auf den Verkaufslisten von Investoren stehen. Dass aktiv verwalteten Aktienfonds gerade der eiskalte Wind der Märkte und der Unmut desillusionierter Anleger entgegenweht, ist bekannt. Im Oktober gaben Anleger Anteilsscheine im Gegenwert von rund 13 Milliarden Euro zurück. In den vergangenen sechs Monaten zogen Anleger in Europa rund 24 Milliarden Euro aus aktiv verwalteten Aktienfonds ab. Dass die Absatzbilanz dieser Produkte mit rund 18 Milliarden Euro in diesem Jahr noch positiv ausfällt, liegt nur an den 29 Milliarden Euro, die ihnen im Januar zugingen, als die Optimisten noch die Oberhand an den Märkten hatten. 

Also haben wir die Probe gemacht und uns die 20 aktiv verwalteten Aktienfonds mit den höchsten Nettomittelabflüssen europaweit, zu denen wir aktuelle Portfoliodaten vorliegen haben, näher angeschaut. Handelt es sich um verkappte Indexfonds? Als grobe Messlatte haben wir die Kennzahl „Active Share“ verwendet, die besagt, wie deckungsgleich ein Fonds mit seinem Index ist. Die Kennzahl wurde von Martijn Cremers und Antti Petajisto bekannt gemacht. 

Der Active Share als Gradmesser für die Unabhängigkeit von der Benchmark

Der Active Share misst, wie stark die Zusammensetzung eines Fonds von der Benchmark abweicht. Dafür berechnet man die Differenz zwischen der Gewichtung einer Aktie im Fonds und ihrer Gewichtung im Vergleichsindex. Diese Prozedur wird für alle Fondsbestandteile wiederholt, die Teilergebnisse werden addiert und zum Schluss durch zwei geteilt. Auch wenn die Kennzahl nicht alles über den Grad der Aktivität eines Fonds aussagt, so gibt sie doch auf den ersten Blick Aufschluss darüber, wie eng sich ein Fonds an seinen Index anlehnt. Für unsere Schnelldurchsicht haben wir den Active Share der Fonds gegenüber dem jeweiligen Morningstar Kategorie-Index verwendet.   

Die untere Tabelle zeigt die Fonds mit den höchsten Mittelabflüssen in diesem Jahr per Ende Oktober. Der am stärksten abgestossene Fonds war in den ersten zehn Monaten der von Neil Woodford verantwortete Woodford Equity Income, der Abflüsse von knapp 2,5 Milliarden Euro hinnehmen musste. Es handelt sich um einen Fonds, der in dividendenstarke britische Aktien investiert. Gegenüber dem Kategorie-Index FTSE All Share TR weist der Fonds einen Active Share von gut 95 Prozent aus. Er hat also wenig mit dem typischen Index vergleichbarer Fonds gemein. Es handelt sich um einen der aktivsten Ansätze in seiner Kategorie. Fondsmanager Woodford ist dafür bekannt, dass er sich wenig um die Zusammensetzung des Index schert. 

Auch die anderen Fonds, die in grossem Stil abgestossen wurden, sind alles andere als pseudo-aktiv. Alle haben einen Active Share von über 60 Prozent, was als Marke für eine recht ordentliche Unabhängigkeit von der Benchmark gilt. Mit einem Active Share von 61 Prozent ist der Janus Henderson Continental Europe der Fonds mit den niedrigsten Active Share unter den Fonds mit hohen Mittelabflüssen. 

Tabelle: Fonds mit hohen Mittelabflüssen sind alles andere als Index-Tracker Outflows outperformance active share

Bevor wir nach Erklärungsansätzen für das Verhalten von Investoren suchen, wollen wir spiegelbildlich auf die aktiv verwalteten Aktienfonds blicken, die in diesem Jahr stark gekauft wurden. Wie schneiden diese Fonds auf der Aktivitätsskala ab? Die untere Tabelle zeigt die aktiv verwalteten Aktienfonds, die in diesem Jahr europaweit besonders stark gekauft wurden und für die wir Portfoliodaten vorliegen haben. 

Tabelle: Fonds mit Zuflüssen sind nicht alle Könige des aktiven Managements

Inflows active share outperformance 

Wie die obere Tabelle zeigt, handelt es sich bei diesen aktiv verwalteten Fonds zwar überwiegend um benchmark-unabhängige Portfolios, aber der Active Share ist bei einigen nicht so atemberaubend hoch, wie man es angesichts der hohen Zuflüsse vermuten könnte.

Insbesondere beim Baillie Gifford Global Alpha Growth handelt es sich um einen lupenreinen aktiv verwalteten Fonds. Der global anlegende Wachstumsfonds weist einen Active Share von 85 Prozent auf. Auch der Morgan Stanley Global Opportunity, der ebenfalls in Growth-Aktien investiert, hat einen hohen Active Share von gut 85 Prozent. 

Doch gewonnen haben nicht nur die totalen Freestlye-Fonds. Beim UBS EF China Opportunities ist der Active Share mit unter 60 Prozent nicht umwerfend, und bei schwedischen AP7 Aktiefond ist der Active Share gegenüber dem MSCI World mit unter 20 Prozent sogar ziemlich gering. 

Auch wenn der vom schwedischen Finanzministerium verwaltete Fonds deutlich aktiver ist, als es der tiefe Active Share zeigt, so deutet dieser Verkaufsschlager an, dass die Motive hinter dem Kauf oder Verkauf eines Fonds vielschichtig sind und es oft nicht mit einfachen Erklärungen getan ist. Das lässt sich besonders gut am Beispiel des AP7 Aktiefond illustrieren. Dieser Fonds verbucht jedes Jahr stetige Mittelzuflüsse, weil es sich um den Standard-Vorsorgefonds schwedischer Arbeitnehmer im Rahmen ihrer privaten, staatlich geförderten Altersversorgung handelt. In Schweden investiert man 2,5 Prozent seines jährlichen Einkommens in die sogenannte Prämienrente, und ein grosser Teil der Investoren nutzt diesen staatlich gemanagten Fonds. 

Dass der AP7 Aktiefond wegen seiner breiten Diversifikation und den günstigen Kosten von nur 18 Basispunkten jährlich typischerweise die allermeisten global anlegenden Fonds weit hinter sich lässt, ist das eine. Das andere ist, dass aktives Management als Prinzip ein eher sekundärer Faktor ist und hinter dem Obligatorium der staatlich gesponserten Rente zurücktritt. Das führt uns zur banalen Frage: Gibt es vielleicht andere Gründe, aktiv gemanagte Fonds zu kaufen, als es sich am Grad ihrer Aktivität ablesen lässt? 

Warum werden Fonds gekauft? 

Blicken wir erneut auf die Tabelle mit den am stärksten nachgefragten Einzelfonds. Es fällt auf, dass in der Tabelle global anlegende Aktienfonds stark vertreten sind. Fünf Fonds investieren stilagnostisch in globale Standardwerte, vier in Wachstumswerte, zu denen typischerweise Technologie-Aktien zählen. Apropos: Es sind auch insgesamt vier Technologie- und Biotechnologiefonds in der Hit-Liste vertreten. Nun muss man wissen, dass diese vier Kategorien in diesem Jahr besonders stark nachgefragt waren. Technologie und Wachstum bzw. USA-lastige Fonds gingen in diesem Jahr im europäischen Fondsvertrieb weg wie geschnitten Brot. (Im Oktober mussten Fonds für Wachstumswerte hohe Abflüsse hinnehmen, aber das lässt sich noch nicht am bisherigen Trend ablesen).

Halten wir also fest, dass die Bestseller in diesem Jahr zu den ohnehin sehr beliebten Fondskategorien zählen. Anleger könnten also eine bestimmte Asset-Allocation-Entscheidungen getroffen und sich dann in einen grossen, prominenten Fonds in ihrer bevorzugten Kategorie investiert haben. 

Spiegelbildlich gehörten viele der Verlierer-Fonds zu den Kategorien, die in diesem Jahr alles andere als gefragt waren. Besonders unbeliebt waren in diesem Jahr Dividendenfonds. In Zeiten steigender Renditen am Bond-Markt sind diese Vehikel mit ihren zinssensitiven Aktien, die oft auch als Bond-Ersatz in Zeiten tiefer Zinsen verwendet werden, nicht gefragt. Dies gilt auch für Value-Fonds, die wegen der signifikanten Underperformance gegenüber Wachstumswerten erhebliche Rückgaben hinnehmen mussten. Die prominenten obigen Fonds dürten also auch als Vertreter „ihres Fachs“ verkauft worden sein. Dass grosse Fonds, die irgendwann hohe Zuflüsse bekommen, in schwachen Marktphasen auch überdurchschnittlich hohe Abflüsse hinnehmen müssen, wenn die betreffende Anlagekategorie nicht länger gefragt ist, ist ein gängiges Phänomen am Fondsmarkt. 

Und schlussendlich müssen natürlich individuelle Faktoren, also die Einzelfondsebene, bzw. die Ebene des Anbieters berücksichtigt werden. Gut möglich erscheint, dass sich manche Anleger von den Turbulenzen bei den Fondsanbietern beeinflussen liessen. Die DWS etwa hatte in den vergangenen Jahren mit Fondsmanagerabgängen und Problemen auf Ebene der Deutschen Bank mit einem schlechten Newsflow zu kämpfen, was auch Abflüsse aus dem DWS Top Dividende bewirkt haben könnte. Zahlreiche Abgänge beim europäischen Aktienteam von Janus Henderson dürften vor allem Profi-Anleger kritisch aufgenommen haben. 

Der vermutete Tod der Closet Indexer hat sich nicht eingestellt

Last but not least spielt auch die kurzfristige Vergangenheits-Performance eine wichtige Rolle im Fondsvertrieb. Vergleicht man die Performance der gefragten Fonds mit der Performance der unbeliebten Fonds, dann fällt sofort ins Auge, dass die ungeliebten Fonds zuletzt überwiegend eine relativ schwache Performance verzeichnet haben. Dass Neil Woodford den Status eines Stars in der britischen Finanzszene hat, ist das eine. Das andere ist, dass auch sehr geduldige Investoren es nicht so gerne sehen, wenn der Fondsmanager ihres Vertrauens um knapp zwölf Prozentpunkte in einem Jahr hinter dem Index liegt - wie im Jahr 2017 geschehen. (Das zeigt übrigens auch, dass sich der hohe Grad an Unabhängigkeit vom Index als Manko manifestieren kann – sehr aktive Manager können auch sehr erfolglos sein, wenn sie die falschen Wetten eingehen.)

Spiegelbildlich haben die Fonds mit den höchsten Zuflüssen ihre Kategorie-Indizes im Jahr 2017 deutlich hinter sich gelassen. Das zeigt wiederum, dass aktives Management schon Beachtung findet – ob Anleger indes zwangsläufig mit einem prozyklischen Investmentverhalten, das sich an kurzfristigen Performance-Mustern orientiert, die richtige Entscheidung treffen, steht auf einem anderen Blatt. Festhalten müssen wir an dieser Stelle jedenfalls, dass der oft angekündigte Tod der verkappten Indexfonds noch immer auf sich warten lässt.

Die Analysen in diesem Artikel basieren auf unserem Tool für professionelle Anleger. Weitere Informationen zu Morningstar Direct erhalten Sie hier

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Über den Autor

Ali Masarwah

Ali Masarwah  Ali Masarwah war von 2011 bis Frühjahr 2021 als Chefredakteur für die deutschsprachigen Anleger Websites von Morningstar verantwortlich