Wie umgehen mit der Volatilität? Einige Tipps für Anleger

Nach einer scheinbar endlosen Zeit aufstrebender Kurse zeigt sich Mr. Market jetzt von seiner hässlichen Seite. Viele Anleger halten still, andere wollen aussteigen, die nächsten ihre Aktienpositionen aufstocken. Was tun, also? Einige Überlegungen zur aktuellen Situation an den Kapitalmärkten.

Ali Masarwah 02.03.2020
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Was in der vergangenen Woche an den Aktienmärkten passiert ist, war schmerzhaft für Investoren. Viele wurden von der gut zwölfprozentigen Korrektur kalt erwischt, obwohl die Ausbreitung des Corona-Virus weltweit längst manifest war, die Aktienbewertungen als hoch erkannt wurden, ebenso wie die Tatsache, dass die Unternehmensgewinne und das Wirtschaftswachstum weltweit stagnieren.

Damit kommen wir zum Pudels Kern, einem immer wiederkehrenden Phänomen an den Aktienmärkten: Investoren haben die fabelhafte Eigenschaft, das, was ihnen nicht in den Kram passt, auszublenden. Gestern wollte man nur die guten Nachrichten wahrnehmen, heute sieht man mit panischer Zuversicht dem Weltuntergang entgegen.

Doch was sollten verunsicherte Anleger tun, die jetzt überlegen, ob sie das Risiko im Portfolio reduzieren sollten? Zumal wenn die Chance lockt, bisher angefallen Gewinne „mitzunehmen“? Sollten sie Aktien verkaufen bzw. sich mit Käufen jetzt zurückhalten, weil man ja bekanntlich „nicht ins fallende Messer greifen“ sollte, wie es die bekannte Börsenweisheit will?

Spiegelbildlich stellt sich für andere Anleger die Frage, ob sie jetzt anfangen sollten, Positionen aufzubauen.

Natürlich hat jeder Anleger seine ganz spezielle finanzielle Wirklichkeit bzw. eine auf sich zugeschnittene Finanzplanung, sodass sich Allgemeinweisheiten verbieten. Allerdings würden wir langfristigen Anlegern raten, sich zunächst folgende fünf Fragen zu stellen. Vorweg das Bekenntnis, dass wir Aktien sehr mögen und den Maximen wie „im Einkauf liegt der Gewinn“, „Kurs halten“ und „Nur realisierte Verluste sind echte Verluste“ viel abgewinnen können.

1. Leidet Ihr Portfolio unter einer Unwucht?

Wenn sich die Märkte von ihrer freundlichen Seite zeigen, können Depots ins Straucheln geraten. Ein vernachlässigtes Portfolio kann Kapriolen schlagen. Wer in den vergangenen Jahren ein Aktien-Renten-Portfolio hat „laufen lassen“ und zwischenzeitlich nicht auf die Ausgangslage zurückversetzt hat (Rebalancing), hatte bis Anfang letzter Woche eine stark erhöhte Aktienquote. Dann könnte es tatsächlich sein, dass es Sinn macht, Bonds nachzukaufen und Aktien zu verkaufen. Das ist nach den Verlusten der vergangenen Woche unschön, aber Portfolios sollten das Rendite-Risiko-Profil des Anlegers reflektieren, das wiederum zur optimalen Rendite führen sollte. Solche Anleger sollten diese Erfahrung als notwendig gezolltes Lehrgeld verbuchen und ab jetzt einmal im Jahr ein Rebalancing-Mechanismus einrichten.

Ganz wichtig: Das sollte im Ergebnis ein antizyklisches Manöver sein und keinesfalls eine prozyklische Reaktion auf gefallene Kurse.

Ebenso wichtig zu betonen. Sollte das Portfolio angesichts der Verluste an den Aktienmärkten eine zu hohe Rentenquote ausmachen, dann bietet es sich durchaus an, auch außer der Reihe das Portfolio zu rebalancieren, also Aktien günstig nachzukaufen.

Spiegelbildlich gilt das Motto: Wenn Ihr Portfolio keine Unwucht ausweist und auf Kurs ist, dann gilt das Motto: „Kein Handlungsbedarf“.

2. Hat sich an Ihrer grundsätzlichen finanziellen Situation etwas verändert?

Diese Frage ist umfassend zu beantworten und sollte der Maxime folgen: Kein Portfolio ist eine Insel. Selbst wenn Sie ein auf den ersten Blick schlecht diversifiziertes Portfolio haben sollten, das nur aus Aktien besteht (das jetzt stärker unter die Räder gekommen ist als ein Aktien-Renten-Portfolio), muss das kein Drama sein. Denn in aller Regel haben Sie andere Vermögenswerte, die ebenfalls in die Rechnung einzubeziehen sind. Immobilien, Lebensversicherungen, betriebliche Altersversorgungs-Pläne, ja auch Ansprüche aus der gesetzlichen Rente gehören in die Vermögensbilanz. Wenn Sie das überfordert, sollten Sie einen Finanzplaner aufsuchen, bevor Sie hektisch an etwas schrauben, was sie nicht überblicken können.

Wenn Sie ein jüngeres Semester sind und nicht viel Vermögen haben, dann kommt auch Ihre Arbeitskraft als Humankapital ins Spiel. Das alles bringt Sie von der Fixierung auf ihr Aktienportfolio im hier und jetzt ab. Vielleicht ergibt ja Ihre Analyse, dass es im Sinne der Bewahrung Ihres Humankapitals wäre, mit dem Rauchen aufzuhören, weniger Alkohol zu trinken und mehr Sport zu treiben? Das wäre vermutlich die effektivste Form des Risikomanagements!

3. Haben sich die Rahmenbedingungen an den Märkten verändert?

Diese Frage ist eigentlich rhetorischer Natur. Selbst wenn Sie kein Volkswirt oder Fondsmanager sind, dann wissen Sie als passionierter Investor, dass die identifizierbaren Risikoquellen schon lange bekannt sind, etwa die Gefahren für die Globalisierung wegen des neuen Protektionismus in vielen Ländern, geopolitische Risiken oder die Folgen des Brexit. Strittiger ist dagegen die Frage, ob die Folgen der Ausbreitung des Corona-Virus neu zu taxieren sind.

Es stellt sich die Frage, wie nachhaltig die Folgen der Produktionsunterbrechungen in der globalisierten Welt einerseits und die Reaktion von Verbrauchern andererseits einzuschätzen sind. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass Angebots-Schocks (die Folgen von Unterbrechungen bei Lieferketten) bei gleichzeitigen Einbrüchen bei der Nachfrage keine Petitessen sind.

Auch wenn es im Laufe des Jahres die nach Disruptionen typischen Nachholeffekte geben wird, die Einbrüche beim Wirtschaftswachstum kompensieren können, ist die Situation heute keinesfalls vergleichbar mit dem Ausbruch des isländischen Vulkans Eyjafjallajökull 2010, der über Wochen alle Flüge über Europa zum Erliegen brachte. Corona ist ein anderes Kaliber als Eyjafjallajökull.
Insofern würden wir keinesfalls empfehlen, jetzt mit allen Cash-Reserven in den Markt einzusteigen. Der aktuelle „Dipp“ ist keine glasklare Kaufgelegenheit, auch wenn mutige Langfristanleger, die Ihr Pulver trocken gehalten haben, durchaus nicht ihr Temperament zügeln müssen und ruhig erste Positionen aufbauen können.

Andererseits ist es auch nicht gesagt, dass die Kurse von Risiko-Assets ins Bodenlose fallen müssen. Denn Staaten und Notenbanken haben durchaus noch einiges in Petto, um auch eine scharfe Konjunkturkrise zu bewältigen. Hier können die konzertierten konjunkturstützenden Maßnahmen des Jahres 2009 durchaus als Blaupause fungieren. So hat bereits vergangenen Freitag die US-Fed Stützungsmaßnahmen angedeutet, und über das Wochenende hat Italien ein erstes Konjunkturpackt auf den Weg gebracht. Auch der deutsche Finanzminister und vermeintlich Schwarze-Null-Fetischist, Olaf Scholz, hat erkennen lassen, dass auch die Bundesregierung mit fiskalpolitischen Maßnahmen gegensteuern würde, käme es zum Schwur. (Er hat es leider unterlassen, den zweiten Teil des berühmten Einzeilers des ehemaligen EZB-Chefs Mario Draghi zu bringen - „and believe me, it will be enough“)

Fest steht eines: Märkte fallen scharf, aber die unmittelbare Korrektur ist nur von kurzer Dauer. Es empfiehlt sich also, die Frage nach der Marktlage so fundamental und so nüchtern wie möglich zu beantworten und Emotionen aus dem Spiel zu lassen. Anleger, die noch in der Investmentphase sind, sollten auf jeden Fall ihre Sparpläne laufen lassen und, wenn möglich, die Raten bei fortlaufender Korrektur weiter zu erhöhen.

4. Droht die Nervosität der Märkte Sie zu unüberlegtem Handeln zu verleiten?

Leider sind wir als Marktakteure vor fehlgeleiteten Instinkten nicht gefeit. Behavioral Finance Fallen drohen überall. Ein „Trigger“, der unerwünschtes Handeln bedingt, ist der Flieh-Reflex, der sich im Anlegerkollektiv auch als Herdentrieb manifestiert. Bei drohender Gefahr, etwa beim Nahen eines Säbelzahltigers, haben unsere Vorfahren gelernt, sehr schnell das Weite zu suchen. Auch 500 Jahre Börsenkultur haben uns diesen Reflex nicht ausgetrieben.

Es ist deshalb sehr hilfreich, sich des Unterschieds zwischen Risikotoleranz und Risikotragfähigkeit zu vergegenwärtigen - immer und immer wieder. Die Risikotoleranz wird von den erwähnten Urinstinkten geformt. Sie ist typischerweise überzogen niedrig. Wenn Sie also eine Investitionsphase von 20 oder mehr Jahren vor sich haben, dann sollten Sie Kursverluste von 50 Prozent oder mehr als großartige Kaufgelegenheit betrachten. Ihre Risikotragfähigkeit ist dann sehr groß. Ist dagegen die Rentenphase nahe, dann haben Sie eine geringe Risikotragfähigkeit – und müssen gegebenenfalls Ihre Risikofreude zügeln!

5. Können Sie, Ihr Fondsmanager oder Berater etwas an der Lage ändern?

Menschen neigen dazu, ihre Fähigkeit, den Gang der Dinge zu beeinflussen, zu überschätzen. Das führt in der Praxis zu Performance-schädigendem Aktionismus. Wenn Sie also gerade damit liebäugeln, das Risiko aus dem Portfolio „rauszunehmen“, so sollten Sie sich zunächst fragen, ob Sie wirklich in der Lage sind, den Kursverlauf des ATX/DAX/SMI in den kommenden Wochen vorherzusagen. Wenn Sie jetzt verkaufen, weil Sie meinen, „etwas tun zu müssen“, dann untergraben Sie im Zweifel mit einer kurzfristigen Absicherungsstrategie (mit höchst ungewissem Ausgang) Ihr langfristiges finanzielles Ziel.

Diesem Trugschluss unterliegen übrigens auch Fondsmanager und Berater, die meinen, in volatilen Märkten „aktiv“ werden zu müssen. Doch dann ist es oft zu spät. Merke: Wer die Renditen benötigt, welche die Kapitalmärkte zu bieten haben, muss auch die dazugehörige Volatilität aushalten. Weniger Aktionismus ist also mehr für die Performance.

Anleger sollten nur dann handeln, wenn sie sicher sein können, dass sie etwas in ihrem Sinne beeinflussen können. Zum Beispiel können Sie als Investor an einer ganz entscheidenden Stellschraube drehen. Sie können die Kosten ihres Investments kontrollieren. Wenn Sie die Kosten senken, dann bestimmen Sie einen ganz wesentlichen Erfolgsfaktor Ihrer Anlage. Dies zu verinnerlichen, führt auch dazu, dass Sie die „Lösungen“ der Fondsanbieter mit anderen Augen zu sehen. Ist das Basis-Investment auf der Rentenseite wirklich ein Prozent oder mehr an jährlichen Gebühren wert? Müssen Sie für einen Standardwerte-Aktienfonds zwei Prozent berappen? Wann hatten Sie das letzte Mal ein ergiebiges Gespräch mit Ihrem Finanzberater?

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Über den Autor

Ali Masarwah

Ali Masarwah  Ali Masarwah war von 2011 bis Frühjahr 2021 als Chefredakteur für die deutschsprachigen Anleger Websites von Morningstar verantwortlich