Aktuell notiert die Branche alkoholischer Getränke auf dem niedrigsten Stand seit fünf Jahren, ganz im Gegensatz zum gesamten Sektor defensiver Konsumgüter, der in der Nähe des Höchststandes von Ende Februar notiert.
Die Aktien der alkoholischen Getränkeindustrie verloren in den letzten 12 Monaten weltweit 11% und liegen damit fast 20% hinter dem defensiven Konsumgütersegment zurück.
Die negativen Quartalsergebnisse, vor allem aber die Ungewissheit über die US-Handelspolitik, belasteten die Börsenkurse dieser Aktien. In den letzten Tagen wurde der Zollsaga ein weiteres Kapitel hinzugefügt, das die Bedenken aber nicht völlig zerstreuen konnte: Das US-Handelsgericht hatte am 28. Mai die meisten der von der Trump-Administration verhängten Zölle für rechtswidrig erklärt, aber der US-Präsident kündigte bereits an, in Berufung zu gehen. Es wird ein langer Rechtsstreit erwartet.
Was steckt hinter dem Verkauf von Alkoholaktien?
Laut Verushka Shetty, Aktienanalystin bei Morningstar, gibt es zahlreiche Faktoren für die Schwäche des Sektors, von denen einige schon seit geraumer Zeit zu beobachten sind. Der Konsum von Alkohol, insbesondere von Spirituosen etwa ist zyklisch und wir befinden uns nach dem Boom der Covid-Periode derzeit in einem Abwärtstrend. Der Umsatzrückgang in den letzten Jahren enttäuschte die Erwartungen des Marktes, der in seinen Prognosen die Möglichkeit ausschloss, die Unternehmen könnten den Umsatz auf dem Pandemie-Niveau halten. Ein weiterer entscheidender Faktor ist die Schwäche einiger Schlüsselmärkte wie China und die USA: “Das ist ein Problem für die Branche. Die USA sind für viele Hersteller alkoholischer Getränke die profitabelste Region, und chinesischen Verbraucher geben am meisten aus, wenn sie in den Urlaub fahren”, so Shetty, der hinzufügt: “Hinzu kommt die Entscheidung vieler US-Käufer, ihre Lagerbestände abzubauen, bis mehr Klarheit über die Zollpolitik herrscht.”
Warum ist der Markt zu pessimistisch?
Die größte Sorge des Marktes ist laut Shetty, dass die Menschen weniger trinken als früher. Die Manager der Unternehmen des Sektors führen den Negativtrend darauf zurück, dass junge Menschen mehr Wert auf Gesundheit und Fitness legen und sich weniger in Kneipen und Bars mit anderen Menschen treffen. Außerdem wird befürchtet, dass der Konsum von alkoholischen Getränken durch neue Regulierungen beeinträchtigt werden könnte. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schlug vor kurzem vor, alle alkoholischen Getränke mit Etiketten zu versehen, um die Verbraucher über den Zusammenhang zwischen Alkohol und Krebs zu informieren, wie das bereits bei Zigaretten der Fall ist. Irland wird das erste Land sein, das das ab nächstem Jahr umsetzt. “Der Rückgang des Alkoholkonsums ist ein Trend, der seit Generationen andauert und viel schleichender ist, als die Leute denken. Um spürbare Auswirkungen auf die Rentabilität der Unternehmen zu sehen, müsste der Konsumrückgang deutlich stärker ausfallen als derzeit. Was die Möglichkeit einer Regulierung hinsichtlich der Kennzeichnung von Alkohol betrifft, teilen wir die Ansicht vieler Manager der Branche, dass der Konsum von Alkohol im Gegensatz zu Tabak mit feierlichen Anlässen und Geselligkeit verbunden ist. Daher bleiben wir optimistisch, dass sich eine Regelung nicht negativ auf den Absatz auswirken wird”, sagt Shetty.
Zu berücksichtigen ist zudem die wachsende Vorliebe der Verbraucher für Premiummarken. Dieser Trend, der bereits in den Industrieländern zu beobachten ist, wird nach Ansicht der Analystin aufgrund der wachsenden Mittelschicht in Schwellenländern auch diese Länder erfassen und sich positiv auf die Gewinnspannen der Unternehmen auswirken.
Die Morningstar-Analysten sind daher überzeugt, dass die meisten Schwächefaktoren mit der Zeit abnehmen. Kurzfristig schüren die US-Zölle jedoch Unsicherheit. Aus diesem Grund, so fügen sie hinzu, bieten Unternehmen, die in der Branche führend sind und über ein diversifiziertes Portfolio hinsichtlich Produkten und Regionen verfügen, mehr Sicherheit für Anleger, die sich in diesem Sektor engagieren wollen.
Welche Aktien des Sektors sind unterbewertet?
Der gesamte Sektor der Hersteller alkoholischer Getränke wird mit einem hohen Abschlag auf den von den Morningstar-Analysten geschätzten Fair Value gehandelt. Von den 30 Aktien des Sektors, die von Morningstar-Analysten bewertet werden, haben vier ein Drei-Sterne-Rating, während die übrigen 26 mit vier oder fünf Sternen bewertet werden. Im Folgenden finden Sie die Kommentare der Analysten zu europäischen Aktien des Sektors, die mit einem Abschlag zum Fair Value gehandelt werden.
Davide Campari-Milan CPR
- Fair Value-Schätzung: EUR 9,00
- Morningstar Rating: ★★★★★
- Economic Moat Rating: Keins
- Morningstar Uncertainty Rating: Mittel
Die Zahlen für das erste Quartal zeigen einen Rückgang der Einnahmen um 4% im Vergleich zum Vorjahr, aber die Morningstar-Analysten sind überzeugt, dass die derzeitigen Schwierigkeiten nur vorübergehend sind.
“Der Umsatzrückgang bei Campari ist auch darauf zurückzuführen, dass Kunden ihre Lagerbestände abbauen und es vorziehen, keine neuen Bestellungen aufzugeben, um Klarheit über die von den USA auf die Einfuhr von alkoholischen Getränken erhobenen Zölle zu erhalten”, sagt Verushka Shetty.
“Wir gehen davon aus, dass die Zölle die Gewinnmargen kurzfristig schwächen werden, aber die Widerstandsfähigkeit des Umsatzes im Aperitifsegment, der im ersten Quartal nur um 1% sank, zeigt, dass Campari das Zeug dazu hat, die derzeitigen Schwierigkeiten zu überstehen und seine mittelfristigen Ziele zu erreichen”.
Rémy Cointreau RCO
- Fair Value Schätzung: EUR 119,00
- Morningstar Rating: ★★★★★
- Economic Moat Rating: Eng
- Morningstar Uncertainty Rating: Mittel
Rémy Cointreau fiel seit Jahresbeginn um 19% und wird nun mit einem Abschlag von 60% auf seinen Fair Value von EUR 119 gehandelt. Gemessen am Umsatzvolumen ist das französische Unternehmen der zweitgrößte Cognac-Hersteller der Welt, auf den 72% des Umsatzes und 90% des EBIT entfallen. Im Zuge des durch die Ankündigung von US-Zöllen ausgelösten Ausverkaufs erreichte die Aktie mit rund EUR 40 den tiefsten Stand seit 10 Jahren, doch sind die Analysten zuversichtlich, dass das Unternehmen seine langfristigen Ziele erreichen kann.
“Das Management bestätigte sein Rentabilitätsziel für 2025 mit einer operativen Marge von 21% bis 22% und bekräftigte seine Ziele für 2030, nämlich eine Bruttomarge von 72% und eine operative Marge von 33%. Wir glauben, dass diese Ziele erreichbar sind, auch wenn die Ungewissheit der US-Zölle über ihnen schwebt”, schrieb Shetty in einem Bericht vom 30. April 2025.
Pernod Ricard PER
- Fair Value Schätzung: EUR 121,00
- Morningstar Rating: ★★★★★
- Economic Moat Rating: Weit
- Morningstar Uncertainty Rating: Niedrig
Mit einem Spirituosenportfolio von mehr als 240 Marken, darunter Absolut, Beefeater und Chivas Regal, ist Pernod Ricard nach Umsatzvolumen der zweitgrößte Destillateur der Welt hinter dem britischen Unternehmen Diageo. Nach enttäuschenden Zahlen für das Jahr 2024 mit einem Umsatzrückgang von 4% fiel die Aktie in den letzten 12 Monaten um 34% und wird nun mit einem Abschlag von 25% auf ihren Fair Value von EUR 121 gehandelt.
“Das Unternehmen hat sich mit der Absatzschwäche auf wichtigen Märkten wie China, Europa und Indien abgefunden, aber das Management hat seine Prognosen für 2025 bestätigt, die einen Umsatzrückgang von weniger als 5% und eine Marge von dauerhaft über 20% vorsehen. In diesen Prognosen, die mit unseren Schätzungen übereinstimmen, sind die negativen Auswirkungen der Zölle bereits berücksichtigt. Brennereien geraten oft ins Kreuzfeuer von Handelskriegen, aber die Branchenführer haben bewiesen, dass sie Zollerhöhungen erfolgreich abfedern können. Daher rechnen wir langfristig nicht mit nennenswerten Auswirkungen”, sagt Shetty.
Diageo GUI
- Fair Value-Schätzung: GBX 2590,00
- Morningstar Rating: ★★★★
- Economic Moat Rating: Weit
- Morningstar Uncertainty Rating: Niedrig
Diageo verlor in den letzten 12 Monaten mehr als 20% und fiel zum ersten Mal seit fünf Jahren unter die Marke von GBX 2.000. Die Aktie wird nun mit einem Abschlag von 23% auf ihren Fair Value von GBX 2.590 gehandelt.
Obwohl die Zahlen für das dritte Quartal ein Umsatzwachstum von 5,9% (ohne Wechselkurseffekte) auswiesen, rechnet die Geschäftsleitung des britischen Unternehmens weiterhin mit einer Verschlechterung der Gewinnspannen in der zweiten Hälfte des Geschäftsjahres 2025, die dem im ersten Halbjahr bereits zu beobachtenden Rückgang entspricht.
“Wir gehen davon aus, dass diese Schwächen nur vorübergehend sind, und erwarten für die nächsten fünf Jahre ein durchschnittliches Ertrags- und Umsatzwachstum von 7,6% bzw. 4,6%”, sagt Shetty.
Heineken 4H5
- Fair Value-Schätzung: EUR 92,00
- Morningstar Rating: ★★★★
- Economic Moat Rating: Weit
- Morningstar Uncertainty Rating: Mittel
Obwohl der Aktienkurs von Heineken seit Jahresbeginn um 12% gestiegen ist, weist die Bilanz für die letzten 12 Monate immer noch einen Verlust von 17% aus. Bei den derzeitigen Marktpreisen sind die Aktien der zweitgrößten Brauerei der Welt daher mit einem Abschlag von etwa 20% auf ihren Fair Value von 92 EUR bewertet.
Die Zahlen für das erste Quartal bestätigten zwar die Befürchtungen der Analysten hinsichtlich der negativen Auswirkungen der Rezession und der Währungsvolatilität auf den Absatz, lieferten aber auch interessante Erkenntnisse, die ihre positive Einschätzung der Aktie untermauern: “Der Absatz pro Hektoliter stieg im Jahresvergleich um 3,3%, und der Rückgang des Absatzvolumens im Quartal wurde durch ein Preiswachstum gemildert, das durch das starke Gewicht der Premiummarken im Portfolio unterstützt wurde. Darüber hinaus sind wir beeindruckt von der Expansion der Marke Heineken in sich entwickelnden Märkten wie Vietnam, China und Nigeria, von den Marktanteilsgewinnen in Brasilien und vom Absatzwachstum im asiatisch-pazifischen Raum, das vor allem in China deutlich ausfiel”, so Shetty.
“Trotz zollbedingter Bedenken hat das Management seine Prognosen für 2025 bestätigt, die ein organisches Wachstum des Betriebsergebnisses (währungsbereinigt) von 4% bis 8% vorsehen. Wir sind weiterhin der Ansicht, dass Heineken über eines der stärksten Premium-Bierportfolios der Welt verfügt und gut positioniert ist, um in strategischen Märkten Marktanteile zu gewinnen.”
Der Autor/Autorin oder die Autoren besitzen keine Aktien der in diesem Artikel erwähnten Wertpapiere. Informieren Sie sich über die Redaktions-Richtlinien von Morningstar.