Im Hebel liegt die Würze - und oft auch die Tücke

Die Performance von Short- und Leverage-ETPs kann von ihren Indizes erheblich abweichen.

Ali Masarwah 10.01.2012
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Die Anbieter von Indexprodukten haben sich längst von ihren Ursprüngen gelöst. Lang ist es her, dass sich die Branche auf einfache Produkte, wie etwa ETFs auf die Indizes Dax, SMI oder Euro Stoxx 50, konzentrierte. Aus ETFs (Exchange Traded Funds) sind längst ETPs (Exchange Traded Products) geworden, und die Branche überschlägt sich damit, immer neue Kapitalmarktnischen zu erschließen. Einige dieser exotischen Vehikel sind dabei längst den Kinderschuhen entwachsen. Hierzu zählen Hebel- und Short-Produkte, die häufig mit den Attributen „Bulle“ (für optimistische Szenarien) und „Bär“ (für die negativen) versehen werden. Inzwischen sind europaweit 98 dieser so genannten Hebelprodukte gelistet, die, einfach oder mehrfach gehebelt, auf fallende oder steigende Kurse von Aktien, Anleihen oder Rohstoffen setzen. Laut Morningstar-Daten sind inzwischen 4,35 Milliarden Euro in diesen ETPs investiert. Der größte ist der bereits 2007 aufgelegte db x-trackers Short Dax der Deutschen Bank, der per Ende Dezember 2011 412 Millionen Euro schwer war. Der doppelt gehebelte Lyxor-Dax-ETF kommt auf 323 Millionen Euro, der Short-ETF auf den SMI von db X-trackers bringt es immerhin auf gut 16,5 Millionen Euro.

Doch diese Produkte haben einige Tücken, und ihre die zunehmende Verbreitung bringt die Gefahr mit sich, dass nicht alle Investoren ihre spezielle Funktionsweise verstehen. Neben der Gefahr, wegen der Hebelwirkung hohe Kursverluste zu erleiden, gilt es eine spezielle Eigenschaft dieser Produkte zu beachten, die auf den ersten Blick einen grundlegenden Widerspruch zur Funktionsweise von ETPs darstellt: Die Performance dieser Produkte kann deutlich von der Entwicklung des Basiswerts abweichen. Hält ein Investor ein Hebel-Produkt länger als ein Tag, ist es sehr wahrscheinlich, dass die Performance vom zugrundeliegenden Index abweicht. Das gilt vor allem in Zeiten hoher Volatilität an den Märkten. Der Grund liegt nicht etwa an einem Konstruktionsfehler, sondern an der Art und Weise, wie die Hebel-Strategie in den allermeisten dieser Produkte ausgeführt wird.

Um Ihnen die Funktionsweise der meisten Hebelprodukte zu verdeutlichen, hier ein einfaches Beispiel: Nehmen wir an, dass ein Rohstoff, nennen wir ihn Kryptonit, zur entscheidenden Komponente neuartiger Solarmodule avanciert. Die Solarindustrie reist sich um das seltene Metall, und auch die Phantasie der Anleger und ETP-Anbieter wird entfacht. Es kommen Long- und Short-ETP auf Kryptonit auf den Markt. Zwei Investoren mit unterschiedlichen Marktmeinungen gehen exakt zur selben Zeit Wetten auf den Preis von Kryptonit ein. Der Optimist investiert in einen zweifach gehebelten Bull-ETP auf Kryptonit, sein pessimistischer Gegenpart kauft Anteile des doppelt gehebelten Bären-ETP. Beide ETP-Anteile kosten zum Zeitpunkt der Investition 100 Euro. Am nächsten Tag steigt der Kryptonitpreis um 10% auf 110 Euro. Der Preis des Bull-ETFs steigt planmäßig auf 120 Euro, der des Bär-Fonds fällt logischerweise auf 80 Euro. (Wir ignorieren in diesem Beispiel die Handels- und Managementkosten, die unweigerlich anfallen). Am Tag darauf fällt der Kryptonitpreis wieder auf 100 Euro, was einem Verlust von 9,1% gegenüber dem Vortagsniveau entspricht. Der Bull-ETF fällt - wiederum planmäßig - um doppelt so viel und notiert am Ende von Tag 2 bei 98,19 Euro. Spiegelbildlich steigt der Preis des Bär-ETF um 18,2% und notiert zum Handelsschluss bei 94,55 Euro.

Sie sehen aus dem Beispiel: Der Preis für Kryptonit notiert am Ende des zweiten Tages auf dem Ausgangsniveau von 100 Euro, derweil die Investoren in die zwei gegensätzlichen Kryptonitpreis-Strategien Geld verloren haben.

Dieses einfache Beispiel illustriert das Problem, das entstehen kann, wenn Hebel-ETFs nur die Tages-Performance eines Index tracken, der Investor aber längerfristig orientiert ist. Durch häufige Schwankungen entsteht gewissermaßen ein negativer Zinseszinseffekt, der aus einer prinzipiell sinnvollen Strategie ein Performance-Grab machen kann. Dies ist in volatilen Marktphasen besonders tückisch, da Hebelstrategien sich besonders bei stark schwankenden Märkten lohnen können, sei es um das Portfolio abzusichern oder um zu spekulieren. Der kanadische ETP-Anbieter Horizons BetaPro hat in einem weiteren Beispiel berechnet, dass ein zweifach gehebelter-Aktien-ETF bei einer 25%igen Indexvolatilität in einem Jahr 6,1% verlieren kann, auch wenn der Index am Jahresende genau so hoch notiert wie 12 Monate zuvor. Bei einer Volatilität von 50% verliert der Hebel-ETF in dem Beispiel sogar 22,1%.

Hinzu drücken die Produktkosten auf die Performance. Short-ETF haben vergleichsweise hohe Gebühren. Double-Short-Produkte auf europäische Aktien-Standardindizes kosten in der Regel rund 60 Basispunkte jährlich. Hinzu addieren sich die Handelsspannen, die vor allem bei volatilen Märkten nicht zu vernachlässigen sind. Bei Rohstoff-Wetten kommt hinzu, dass wegen der Rollkosten die ETF-Preise deutlich vom eigentlichen Spot-Preis des Rohstoffs abweichen kann.

Bedeuten diese Risiken und Unwägbarkeiten, dass Anleger Abstand von diesen Produkten nehmen sollten? Ja und nein. Unerfahrene Anleger ist von Hebel- und Short-Produkten grundsätzlich abzuraten, und zwar nicht nur wegen der oben beschriebenen Abweichungen vom Index. Vielmehr neigen Privatanleger häufig dazu, viel zu lange an offenkundig fehlgeschlagenen Strategien festzuhalten und nicht beizeiten die Verlustbringer aus dem Portfolio zu werfen. (Im Gegensatz zu den sonstigen Wertpapierleihestrategien, auf denen diese ETPs ja basieren, können Anleger im schlimmsten Fall allerdings nur das eingesetzte Kapital verlieren – ein Short-Squeeze, wie ihn etwa Hedgefonds im Herbst 2008 bei der VW-Aktie erleben mussten, ist hier nicht möglich). 

Für Fortgeschrittene können Hebel- und Short-Strategien indes einen großen Mehrwert bringen. Für Anleger, denen die Erfahrung oder aber die rechtlichen Voraussetzungen fehlen, um an den Futures-Märkten zu handeln oder nicht auf Zertifikate setzen wollen, sind Hebel-ETPs sinnvolle Absicherungs- und Spekulationsinstrumente.

Und auch die ETP-Branche entwickelt sich weiter. Inzwischen gibt es nicht nur Tages-Tracker bei Hebel, Short und Co.: Der Anbieter RBS hat etwa im Februar 2011 Short- und Leveraged-Produkte auf die Indizes Dax, FTSE 100, FTSE MIB, und Euro Stoxx 50 aufgelegt, die nicht die tägliche, sondern die monatliche Performance dieser Benchmarks zum Maßstab nehmen. Das beseitigt einen guten Teil der oben beschriebenen Nachteile dieser Produkte (lesen Sie auch hier weiter).

Das untere Beispiel illustriert die Vorteile von monatlichen Hebel-ETF gegenüber täglichen. Bei einer Indexvolatilität von annualisiert 16% schneidet der monatlich rechnende ETF in dem Beispiel (grüne Linie) deutlich besser ab als der täglich berechnete Hebel-ETF (rote Linie) und der ungehebelte Index (blaue Linie). Allerdings spielen monatliche Hebel-ETF die unten illustrierten Vorteile nur bei längeren Halteperioden aus. Unterm Strich müssen Investoren also beachten, dass es bei Hebel- und Short-ETF nicht nur auf die richtige Richtung der Märkte ankommt, sondern auch darauf, welchen Weg sie bei der Umsetzung ihrer Strategie beschreiten.

 

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Über den Autor

Ali Masarwah

Ali Masarwah  Ali Masarwah war von 2011 bis Frühjahr 2021 als Chefredakteur für die deutschsprachigen Anleger Websites von Morningstar verantwortlich