Verkappte Indexfonds: Ineffizienzen in einem hocheffizienten Markt

Überlegungen eines Amerikaners zur Frage, warum europäische Anleger schlechte Fonds kaufen.

John Rekenthaler 23.12.2014
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Im vergangenen Monat wurde ruchbar, dass die europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (European Securities and Markets Authority, kurz ESMA) darüber nachdenkt, gegen sogenannte „verkappte“ Indexfonds vorzugehen. Das sind Fonds, die den Anspruch haben, aktiv gemanagt zu sein, tatsächlich aber ihrer Benchmark regelrecht um den Hals fallen. (Im Englischen drückt man das sehr bildreich mit Begriffen wie „closet indexer“ bzw. „benchmark hugger“ aus.)

Die ESMA macht sich dem Vernehmen nach Sorgen, dass derartige Fonds Anleger in die Irre führen könnten, da sie etwas versprechen, was sie letztlich nicht halten können.

Schaut man sich das Sitzungsprotokoll der ESMA genauer an, relativiert sich die Aufgeregtheit dieser Meldung; die Aufsicht hat offenbar nur auf die Eingaben anderer reagiert. Vielleicht wollte die ESMA beschwichtigen und ihr Chef Steven Maijoor Sympathie vorgaukeln ohne die Absicht zu haben, gegen semi-aktive Fonds tatsächlich vorzugehen.


Ehrlich gesagt hoffe ich, dass letzteres der Fall ist. Fondsmanager zu bestrafen, die – ja, wir befinden uns in der Welt der relativen Renditen - aktives Risikomanagement betreiben, ist absurd. Die einzigen Investment-Entscheidungen, welche die Aufsicht auf den Plan rufen sollten, sind solche, die Märkte in Gefahr bringen. Das ist bei heimlichen Indexfonds sicher nicht der Fall.

In der Sache selbst hat die ESMA natürlich recht. Verkappte Indexfonds sind mehrheitlich schlechte Produkte. So gesehen führen sie tatsächlich den Investor, der auf einen aktiven Outperformer gesetzt hat, in die Irre. Im Schnitt bringen diese Fonds vor Abzug der Gebühren etwa dieselbe Rendite wie ein ETF. Nach Kosten fallen sie wegen hoher Gebühren hinter den Index zurück. Dem Anleger bleibt damit also eine niedrigere Nettorendite, als wenn er auf einen Indexfonds gesetzt hätte.

Die Problematik führt geradewegs zur Frage: Wenn in Europa heimliche Indexfonds hinter ETFs liegen, warum sollen sie dann eine Bedrohung für Anleger sein? In den USA müssen die Manager verkappter Indexfonds keine Sanktionen befürchten. Sie werden von anderer Seite bestraft: Der Indexfondsanbieter Vanguard, auch in Europa zunehmend eine Größte, schnappt ihnen die Anleger weg. Und zwar reihenweise. In den USA sammelt Vanguard in einer Woche mehr Geld von Anlegern ein, als alle heimlichen Indexfonds in einem Jahr zusammen.

Man könnte es überspitzt so formulieren: In den USA müsste die Aufsicht nicht die Anleger vor den verkappten Indexfonds retten, sondern die verkappten Indexfonds vor den Anlegern, die mit den Füßen abstimmen!



Europäer leben in einer anderen Fondswelt

Warum beobachten wir also in Europa eine verkehrte Welt? Der Grund liegt sicher nicht an einem höheren kollektiven IQ der Amerikaner. (Man schaue sich nur das US-Kabelfernsehen an!).  Der Grund liegt vielmehr an der Struktur des europäischen Fondsmarktes. Fonds werden in Europa noch immer durch den Vertrieb an den Mann gebracht; er basiert nicht auf der aktiven Nachfrage von Investoren.

Es ist ganz offensichtlich, dass Anlageberater in Europa in einem Verkäufermarkt operieren und ihre Klienten nicht das Wissen haben, ihre Empfehlungen zu hinterfragen. Unter solchen Bedingungen mögen ETFs eine bessere Performance abliefern als die verkappten Indexfonds – das ganze passiert unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Das System ist nicht effizient.

Man sollte die Verhältnisse in den USA aber nicht idealisieren. Hier war es vor einigen Jahren genauso wie in Europa heute. Die großen Brokerfirmen haben vor wenigen Jahren die gleiche Rolle gespielt wie die Banken in Europa heute: Vertriebsziele standen im Mittelpunkt, nicht aber das Wohl der Kunden. In so einem Umfeld werden Anleger systematisch zu hauseigenen Fonds gedrängt. Es gab nicht viele unabbhängige Berater, die sich dem Herdentrieb wiedersetzten und Anlegern – aktive – Fonds als Alternativen vorschlugen. Und die meisten Anleger hatten nicht den Mut,  Finanzentscheidungen selbstständig zu treffen. Damals hatten auch in den USA die Anbieter verkappter Indexfonds eine sehr gute Zeit.



Das hat sich gründlich geändert, wie wir alle wissen.  Heute fristen ETFs und Indexfonds in den USA alles andere als ein Schattendasein – sie sind vielmehr in aller Munde!

Der Wandel wurde allerdings nicht durch die Regulierung herbeigeführt. Er beruht vielmehr auf Erfahrungen, Diskussionen und der Verfügbarkeit alternativer Vertriebskanäle. Dies alles hat die klassischen Broker-Vertriebskanäle unter Druck gesetzt.

Kurz gesagt: Der Ursprung des Wandels am US-Fondsmarkt liegt in der kollektiven Einsicht. Kann das auch in Europa passieren? Machen wir den Test. Existieren die Bedingungen für den erfolgreichen Kampf gegen heimliche Indexfonds?

Bedingung eins: Auf der Produktseite müssen Alternativen zu heimlichen Indexfonds vorhanden sein, denn ohne die Konkurrenz durch günstige Indexfonds und ETFs haben sie nichts zu befürchten. Doch es gibt in Europa reichlich Alternativen. ETFs sind an allen Vertriebsstellen verfügbar. Die erste Bedingung ist also erfüllt.

Bedingung zwei: Die Information, dass ETFs bzw. nichtkotierte Indexfonds besser performen als heimliche Indexfonds, muss  allgemein zugünglich sein. Auch das ist in Europa der Fall: Performance-Daten kann man in Europa, genauso wie in den USA, über alle Medien einfach abrufen und miteinander vergleichen.

Bedingung drei: Anlageberater müssen das Prinzip des Indexierens gut finden. Selbst in den USA, der Heimat der Selbstentscheider, war das Thema Indexing nicht vollständig etabliert, bis unabhängige Finanzberater auf den Zug aufgesprungen sind. In Europa, wo das selbstbestimmte Investieren der Privatanleger eher ungewöhnlich ist, sind Berater sogar noch kritischer gegenüber Index-Investments eingestellt. Bislang haben sie noch keinen Appetit an Indexfonds gefunden. Das letzte entscheidende Kriterium für den Garaus der verkappten Indexfonds ist in Europa also nicht erfüllt!



Fassen wir also zusammen: Das Problem in Europa ist nicht der Mangel an Angeboten, sondern der Mangel an Wettbewerb zwischen den Anlageberatern. Zu wenige Berater befinden sich in einem Ideenwettbewerb um die beste Anlagestrategie. Es fehlen die Visionen. Als in den USA das Kompensationsmodell für Berater geändert wurde, konnten sie ihren Klienten DFA Funds, institutionelle Anteilsklassen und die Vanguard-Fonds dieser Welt anbieten. Interessanterweise gibt es in Europa auch nicht genug Anleger, die ihre Investmentstrategien mit denen ihrer Freunde vergleichen, nach Diskrepanzen suchen und die richtigen Fragen stellen. Der Status Quo muss sich also ändern.

Früher oder später wird es in Europa auch so kommen. In der Zwischenzeit sollte die ESMA ihre Ressourcen nicht damit vergeuden,  dem Markt Anlageregeln vorzuschreiben, sondern vielmehr den Wettbewerb zwischen Finanzberatern fördern. Finanzberater, die auf Honorarbasis arbeiten, werden vermutlich durch Lobbyarbeit in den Medien immer mehr Gehör finden – die Macht der Medien könnte eine entscheidende Rolle bei der Aufklärung der Anlager spielen. Das Endziel ist klar: Ein Fondsmarkt, der das Mittelmaß viel stärker und rücksichtsloser bestraft, als es eine Breitseite des Regulierers jemals vermögen könnte.


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Über den Autor

John Rekenthaler  is vice president of research for Morningstar.