Unternehmensbericht: Infineon bei Leistungshalbleitern führend

Fair Value-Schätzung von EUR 40 je Aktie

Brian Colello 27.12.2021
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Infineon ist ein führender, breit aufgestellter europäischer Chiphersteller und eng verdrahtet mit den langfristigen Wachstumstreibern in den Bereichen Industrie- und Automobilchips. Das Unternehmen dürfte sich zu einem führenden Zulieferer für Elektrofahrzeuge und aktive Sicherheitssysteme für Autos entwickeln und bietet durch die Übernahme von Cypress Semi zunehmend Infotainmentsysteme für Autos an. Wie bei den meisten Chipherstellern bleibt sein Geschäft jedoch sehr zyklisch, da die Nachfrage mit der Entwicklung der verschiedenen Endmärkte schwankt.

Autos mit fortschrittlicher Antriebstechnik und Sicherheitssystemen benötigen eine Vielzahl von Sensoren und Stromspannungschips, die von Firmen wie Infineon geliefert werden. Bei Leistungshalbleitern profitiert das Unternehmen von den Trends der Elektronikindustrie zur Einsparung von Energie – in Form effizienterer Geräte wie Industrieantrieben und in umweltfreundlichen Energielösungen wie Solarpanels. Außerdem ist Infineon ein führender Anbieter von Chipkarten- und Sicherheitsprodukten, wie etwa Chips für „Chip and Pin“-Kreditkarten. Unserer Ansicht nach ist es wichtig, das Engagements in schwierigen Märkten zu begrenzen und die Aktivitäten in vielversprechenden Märkten zu erhöhen. Hier hat Infineon gute Arbeit geleistet, indem es sich von unattraktiven Geschäftssegmenten getrennt hat, wie z. B. durch die Ausgliederung seines Geschäfts mit drahtlosen Basisband-Chips.

Nichtsdestotrotz stehen die Produktlinien von Infineon in einem scharfen Wettbewerb. Viele andere große Halbleiterunternehmen konzentrieren sich ebenfalls auf Leistungshalbleiter und bieten ähnliche Produkte an. Darüber hinaus konzentriert sich Infineon auf einzelne, eigenständige Leistungsprodukte und nicht auf analoge, integrierte Schaltungen für das Leistungsmanagement. Zwar sind die zuerst genannten Produkte wertvoll für die Kunden, letztere aber betrachten wir als komplexere Produkte, die es führenden analogen Unternehmen ermöglichen, eine stärkere Preissetzungsmacht zu erlangen und relativ höhere Renditen auf das investierte Kapital zu erzielen. Infineon verfügt außerdem über umfangreiche Fertigungskapazitäten für seine Produkte, was zu einer höheren Fixkostenstruktur führen und einen erheblichen Druck auf die Margen verursachen kann, wenn das Angebot die Nachfrage weit übersteigt.

Economic Moat

Wir sehen bei Infineon einen schmalen economic moat, also einen kleinen strategischen Wettbewerbsvorteil, da wir es für wahrscheinlich halten, dass das Unternehmen in den nächsten zehn Jahren eine überdurchschnittliche Kapitalrendite erwirtschaften kann. Unserer Meinung nach profitiert das Automobil-Chipgeschäft des Unternehmens sowohl von immateriellen Werten im Zusammenhang mit proprietären Chipdesigns als auch von hohen Wechselkosten, wenn seine Produkte erst einmal in Fertigungsprogrammen eingesetzt werden. Auch Infineons Leistungs-Chipgeschäft profitiert unserer Ansicht nach von immateriellen Vermögenswerten im Zusammenhang mit dem Design-Knowhow für Hochspannungsprodukte und hat zudem einen Kostenvorteil, weil Größe und Umfang dem Unternehmen einen Vorsprung gegenüber anderen Marktteilnehmern verschaffen. Infineon ist in der Lage, seine Forschungs- und Entwicklungsarbeit auf einen ausreichend großen Kundenstamm und ein ausreichend breites Produktportfolio zu verteilen, um im Laufe der Zeit eine überdurchschnittliche Kapitalrendite zu erzielen.

Infineon verkauft Tausende Produkte an Zehntausende Kunden, insbesondere in den Endmärkten Industrie und Automobil. Im Leistungsbereich ist das Unternehmen auf eigenständige Leistungshalbleiter wie isolierte Bipolartransistoren und Metalloxid-Halbleiter-Feldeffekttransistoren spezialisiert. Beide Gattungen fungieren im Wesentlichen als Schalter zum Ein- und Ausschalten von elektrischen Signalen. Zwar betrachten wir diese Produkte als Commodity-Produkte, weisen aber darauf hin, dass Infineon über eine besondere Expertise bei Hochspannungsanwendungen verfügt, die unserer Meinung nach schwieriger herzustellen sind und es dem Unternehmen ermöglichen, einen bescheidenen Preisaufschlag von den Kunden zu verlangen. Außerhalb des Leistungsbereichs ist Infineons größter Endmarkt der Automobilsektor, in dem das Unternehmen nicht nur Leistungsprodukte, sondern auch Sensoren und Mikrocontroller verkauft. Darüber hinaus gelten für Automobilhalbleiter strenge Qualitätsanforderungen, so dass Infineons Expertise in der Automobil-Chipfertigung ein weiterer Bereich ist, den andere nicht einfach kopieren können.

Führende Analoghersteller mit Sitz in den USA wie Texas Instruments und Analog Devices erzielen Bruttomargen von über 60% und operative Margen von über 30% sowie gesunde Überschussrenditen auf das Kapital. Infineon verfügt über eine begrenzte analoge Expertise und ist relativ stark in den commodity-ähnlichen Leistungsprodukten engagiert. Die Folge sind Bruttomargen zwischen 35 und 40 Prozent und nicht von über 60 Prozent, wie sie in der Hochleistungsanalogtechnik üblich sind.

Immaterielle Vermögenswerte und Wechselkosten ermöglichen es Unternehmen wie Infineon, von der langen Nutzungsdauer bestimmter Chip-Produkte zu profitieren, was zu geringeren laufenden F&E- und Investitionsausgaben führt. Im Gegenzug sind diese Unternehmen in der Lage, attraktive Überschussrenditen zu erzielen. Zwar erzielen die von uns analysierten Hersteller analoger Chips mit einem breiten economic moat regelmäßig operative Margen von über 30%, aber wir gehen davon aus, dass die bereinigten operativen Margen von Infineon im mittleren bis hohen Zehnerbereich und die Kapitalrenditen im mittleren Zehnerbereich in den nächsten zehn Jahren nachhaltig sein werden.

Fairer Wert und Gewinntreiber

Unsere Fair Value-Schätzung für Infineon liegt bei EUR 40 je Aktie, was für das Geschäftsjahr 2021 einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von 26,5, einem Verhältnis von Unternehmenswert zu bereinigtem EBITDA von 14,5 und einer Free Cashflow-Rendite von 2% entspricht.

Für das Geschäftsjahr 2022 erwarten wir für Infineon ein Umsatzwachstum von 15%, was mit der Prognose des Managements übereinstimmt. Der Absatz von Chips für die Automobilindustrie dürfte sich von den pandemiebedingten Schließungen weiter erholen und die Nachfrage nach Leistungshalbleitern, Sensoren und sicheren Chiplösungen weiterhin stark sein. Langfristig erwarten wir für Infineon ein Umsatzwachstum von 9% pro Jahr. Wir gehen von einer guten Chip-Nachfrage im Automobilmarkt aus, getrieben durch einen erhöhten Halbleiteranteil in Elektro- und Hybridfahrzeugen.

Die bereinigten operativen Margen des Unternehmens sind im Laufe der Jahre deutlich gestiegen und erreichten 19% im Geschäftsjahr 2021. Dank höherer Verkaufszahlen, eines starken kurzfristigen Preisumfelds und einer verbesserten Fabrikauslastung modellieren wir eine bereinigte operative Marge von 21% für das Geschäftsjahr 2022, was dem Ziel des Managements entspricht. Wir gehen davon aus, dass die bereinigte operative Marge auch langfristig steigen und im Geschäftsjahr 2026 25,5% erreichen wird.

Risiko und Ungewissheit

Wegen des zyklischen Charakters der Chipindustrie stufen wir Infineons Fair Value-Unsicherheit als hoch ein. Infineon stellt seine Chips zum größten Teil intern her, und wenn es zu Überkapazitäten kommt oder die Nachfrage nach Chips hinter den Erwartungen zurückbleibt, muss das Unternehmen für die hohen Fixkosten aufkommen, die mit dem Betrieb dieser Anlagen verbunden sind. Infineon ist stark mit der Konjunktur in der Automobilindustrie korreliert, eine Schwäche in diesem Endmarkt könnte Probleme für das Unternehmen schaffen. Außerdem ist Infineon in erheblichem Maß von Kunden in Europa abhängig, was bei anhaltenden wirtschaftlichen Turbulenzen in der Region zu Gegenwind führen könnte. Schließlich ist die Analogbranche zunehmend fragmentiert und spezialisiert, und das Unternehmen sieht sich einem starken Wettbewerb durch große, diversifizierte Chiphersteller wie NXP und Texas Instruments ausgesetzt.

Was die Bereiche Umwelt, Soziales und Unternehmensführung betrifft, sehen wir keine Probleme am Horizont. Das vielleicht größte Risiko ist der Mangel an erfahrenen Chip-Ingenieuren in der Branche, aber Infineon hat unserer Meinung nach bewiesen, dass es innovativ ist und intern Ingenieure ausbilden kann.

Kapitalallokation

Wir stufen die Kapitalallokation von Infineon mit Standard ein. Das Rating reflektiert unsere Einschätzung einer soliden Bilanz, fairer Investitionen im Zusammenhang mit der Unternehmensstrategie und -umsetzung und angemessener Ausschüttungen an die Aktionäre.

Wir betrachten Infineon als ein gut geführtes Unternehmen. Reinhard Ploss ist seit Mai 2012 CEO, wird aber zurücktreten und Jochen Hanebeck, der seit 2016 COO ist, wird seine Rolle am 1. April 2022 übernehmen. Unserer Ansicht nach erfolgt dieser Führungswechsel als ein geordneter und logischer Übergang. Wir glauben, dass Infineon über eine solide Bilanz verfügt. Obwohl das Unternehmen einen gewissen Verschuldungsgrad aufweist (3,9 Milliarden Euro an Barmitteln gegenüber 6,6 Milliarden Euro an Schulden per September 2021), gehen wir davon aus, dass es im Laufe der Zeit einen ausreichend hohen freien Cashflow generieren kann, um diese Verpflichtungen zu erfüllen.

In den letzten Jahren hat das Managementteam von Infineon gute Schritte unternommen, um das Unternehmen profitabler zu machen. Auch die Übernahme von International Rectifier hat sich für Infineon gelohnt. Obwohl die geplante Übernahme von Wolfspeed von den US-Aufsichtsbehörden blockiert wurde, hielten wir das für einen klugen Versuch des Infineon-Managements, da es die Position des Unternehmens im Bereich der neuen Leistungshalbleiter auf Siliziumkarbidbasis gestärkt hätte. Wir begrüßen die Übernahme von Siltectra, mit der Infineon seine Produktionskapazitäten für Siliziumkarbid verbessern will. Außerdem befürworten wir die strategische Logik des Zusammenschlusses mit Cypress Semi, auch wenn Infineon dafür viel Fremdkapital aufgenommen und eine überdurchschnittlich hohe Prämie für das Unternehmen gezahlt hat.

Mit der Ausschüttungspolitik von Infineon sind wir ebenfalls zufrieden. Das Unternehmen hat 2011 die Dividende wieder eingeführt und sie in den letzten Jahren deutlich erhöht, wenn auch mit einer kleinen Kürzung im Geschäftsjahr 2021 aufgrund von COVID-19.

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Über den Autor

Brian Colello  ist Aktienanalyst bei Morningstar