Stockt der Übergang zu Elektrofahrzeugen?

Könnte der batterieelektrischen Revolution der Saft ausgehen? Der Vorstandsvorsitzende von Ford revidiert die Ziele seines Unternehmens für Elektrofahrzeuge drastisch: Die Einführung von Elektrofahrzeugen scheint zu stottern.

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An EV charging point

Der Absatz von Elektroautos beschleunigte sich in der ersten Jahreshälfte 2023, aber Hindernisse wie geringere Subventionen und eine unzureichende Infrastruktur bedrohen ihren Aufstieg zur Marktführerschaft in Europa und im Vereinigten Königreich.

Im Vergleich zum Vorjahr stiegen die Zulassungen von Elektroautos um 53,8 %, zeigen Daten des Europäischen Verbands der Automobilhersteller (ACEA). Damit kletterte der Marktanteil von Elektroautos in der EU von 10,7% im Juni 2022  auf auf aktuell 15,1%, in Großbritannien gar auf 16,1%.

Volkswagen [VOW3] verdoppelte in der ersten Jahreshälfte seinen weltweiten Absatz von E-Fahrzeugen und strebt für 2023 einen Anteil an den Gesamtverkäufen in Höhe von 8% bis 10% an. Vor dem Hintergrund schnell wachsender Modellpaletten kämpfen die großen Originalzulieferer um Marktanteile in allen Preissegmenten, selbst Pionier Tesla [TSLA] mischt mit altmodischen Preissenkungen bei dem Kampf mit.

Die niedrigeren Verkaufspreise drückten die Gewinnmargen, wie die Halbjahresrergebnisse von Tesla zeigen; sie sanken von 17% im Vorjahr auf 10% im Jahr 2023. Tesla lebt jetzt in "der realen Welt des Preisdrucks und des Kostenwettbewerbs", scherzte Stellantis [STLA]-Chef Carlos Tavares.

Wie steht es um die Chip-Knappheit?

In besagter realer Welt gibt es ein großes Problem, das die weitere Beschleunigung der Elektrifizierung behindert: der anhaltende Mangel an Computerchips und anderen Bauteilen. Das Problem entstand im Jahr 2020, als die Chipproduktion in Erwartung einer einbrechenden Nachfrage drastisch zurückging. Stattdessen aber hielt sie die Nachfrage und stieg sogar über das Niveau von vor der Pandemie an.

Den Halbjahresberichten der großen Hersteller zufolge entspannte sich die Knappheit seither deutlich: "Der Druck verlagert sich von der Halbleiterknappheit auf Verzögerungen bei Transport und Logistik", so Volkswagen in einer Mitteilung, während Stellantis den Schwerpunkt auf Logistikstörungen als Kostentreiber legte.

Nach drei Jahren der Chip- und Teileknapphaeit sind die Produktionsniveaus der Automobilhersteller mittlerweile relativ niedrig, was sich langfristig negativ auswirkt, so Richard Hilgert, Automobilanalyst von Morningstar.

"Es gibt derzeit nicht genügend Kapazitäten in der Chipindustrie. Erst ab 2024 und verstärkt ab 2025 werden die Produktionskapazitäten bei Chips wieder ansteigen, wenn die Investitionen der Chiphersteller Früchte tragen", sagt er.

Große Chiphersteller wie TSMC und Intel planen Investitionen in neue Fabriken in den USA und in Europa, aber die Branche bleibt von Taiwan abhängig und sind den politischen Risiken des Landes ausgesetzt.

Die Chipindustrie ist für den Umstieg auf das elektrische Fahren von entscheidender Bedeutung, weil Elektroautos viel mehr Chips enthalten als Autos mit Verbrennungsmotor.

"Elektroautos sind voll digitalisiert. Man braucht die neuesten Hightech-Chips für eine Reihe von Anwendungen genauso wie weniger ausgefeilte Chips für Funktionen wie den Fensterheber", ergänzt er.

"Daher muss die Chipindustrie sowohl Hightech- als auch Lowtech-Chips in großen Mengen produzieren. 2024 werden wir zusätzliche Kapazitäten sehen, 2025 wird sich die Situation weiter entspannen".

Weniger Anreize

In europäischen Ländern und Großbritannien gibt es ein ganzes Sammelsurium staatlicher Anreize, um die Einführung von Elektroautos zu fördern. Alle haben sie eins gemeinsam: Sie werden zurückgefahren.

In Deutschland wurde der Zuschuss für den Kauf eines neuen Elektroautos gerade von 9.000 Euro auf 6.750 Euro gekürzt, und zum Jahresende steht eine weitere Kürzung an. In den Niederlanden wird die Förderung von 2.950 Euro in diesem Jahr auf 2.550 Euro im Jahr 2024 gesenkt und danach eingestellt.

Das Verschwinden steuerlicher Anreize ist der andere Teil dieses Trends, sagt Jan Jaap Koops vom niederländischen Automobilmarktforscher RDC.

"In den Niederlanden sind E-Autos und Hybride zurzeit teilweise von der Kfz-Steuer befreit", sagt er.

"In den kommenden Jahren wird dieser Vorteil schrittweise abgeschafft, was bedeutet, dass die Besitzer die volle Kfz-Steuer für ein Auto zahlen müssen, das viel schwerer ist als ein Verbrenner. Rechnet man das durch, kann es sein, dass das Elektroauto die teurere Option ist, so Koops. Alles in allem kann das dazu führen, dass der Appetit der Autokäufer sinkt.

Schaut man sich an, in welchem Umfang das Budget der niederländischen Regierung zur Förderung von E-Fahrzeugen aktuell in Anspruch genommen wird, dann könnte die Nachfrage bereits zurückgehen. In diesem Jahr wurde weniger als die Hälfte der für die Finanzierung von Anreizen vorgesehenen staatlichen Mittel verwendet, im letzten Jahr waren sie bereits im Mai aufgebraucht.

Verfehlte Ziele

Einige Hersteller sind auf dem Weg zur Elektrifizierung ins Straucheln geraten. Ford verschob sein Ziel, 600.000 Elektrofahrzeuge pro Jahr zu produzieren, von 2023 auf 2024. CEO Jim Farley verwarf auch das Ziel von zwei Millionen Autos bis 2026, ohne einen neuen Zeitrahmen zu nennen. Ford sei "flexibel, was das Timing angeht", sagte Farley und fügte hinzu, dass "der Übergang zu Elektrofahrzeugen sehr dynamisch verläuft".

Um seinen Marktanteil zu halten, musste Ford Tesla bei den Preissenkungen im Einzelhandel folgen, fügte Farley hinzu. Ford wurde von den Verlusten im Geschäft mit Elektroautos hart getroffen: 1,1 Milliarden US-Dollar im zweiten Quartal, etwas doppelt so viel wie im Vorjahr und schlimmer als die 722 Millionen US-Dollar im ersten Quartal. Der Ausblick für das Gesamtjahr 2023 ist ein Verlust von 4,5 Milliardren US-Dollar, der von 3 Milliarden US-Dollar nach oben korrigiert wurde - ein deutlicher Anstieg im Vergleich zu den 2,1 Milliarden US-Dollar, die 2022 im Geschäft mit Elektroautos verloren gingen.

Wenn die Kapazität zu Kurzschlüssen führt

Ein weiteres praktisches Problem sind die Unzulänglichkeiten der Stromnetze, sowohl in Europa als auch in den USA. In Europa schlagen die Versorgungsunternehmen Alarm wegen der Überlastung des Netzes, die es in einigen Gebieten unmöglich macht, neue Anschlüsse für Haushalte, Unternehmen oder Ladestationen für Autos zu schaffen. Hohe Investitionen und eine aktive Rolle der Regierungen bei der Erleichterung der Genehmigungsverfahren sind erforderlich, um den Nutzern genügend Strom zur Verfügung zu stellen.

"Die Politik treibt uns in Richtung E-Fahrzeuge, nicht die Automobilindustrie", sagt Koops und fügt hinzu, dass die Vorschriften über die Kohlenstoffemissionen das Verhalten der Hersteller weitgehend bestimmen.

"Die Geldstrafen für CO2-Emissionen oberhalb der Grenzwerte sind so hoch, dass sie E-Autos dort verkaufen, wo sie es können, und Norwegen und die Niederlande haben die Nase vorn, um Platz zu schaffen, wenn andere Märkte hinterherhinken."

Die europäischen und die US-amerikanische Regierungen haben Ziele für die Reduzierung von Emissionen fossiler Brennstoffe festgelegt, die nur erreicht werden können, wenn elektrisches Fahren zur Norm wird. Die Europäische Kommission hat 2035 als das Jahr festgelegt, in dem keine Fahrzeuge mehr als Neuwagen verkauft werden dürfen, die mit fossolen Brennstoffen betrieben werden; die USA haben den Clean Air Act verabschiedet.

"Die Autobauer werden sich schlicht darauf einstellen müssen", sagt Hilgert.

Die Umstellung von Verbrennungs- auf Elektroantrieb verläuft in einem Umfeld voller Unsicherheiten. Hilgert von Morningstar erwarte, dass Elektrofahrzeuge 2030 einen weltweiten Marktanteil von 30 bis 40% haben werden. Aber wie die Daten zeigen, wird das Umschalten nicht unbedingt automatisch erfolgen.

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BezeichnungKursVeränderung (%)Morningstar Rating
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Mercedes-Benz Group AG74.36 EUR1.56Rating
Renault SA48.55 EUR1.15Rating
Stellantis NV23.04 EUR0.57
Tesla Inc168.29 USD-1.11Rating
Volkswagen AG Vorz-Inhaber-Akt ohne Stimmrecht120.10 EUR1.09Rating

Über den Autor

Robert van den Oever  Robert van den Oever ist Research Editor bei Morningstar in Amsterdam