Warum europäische Automobil-Aktien unterbewertet sind

Die europäischen Automobilhersteller meldeten im dritten Quartal starke Umsatz- und Gewinnzahlen. Dies ist hauptsächlich auf Bestellungen zurückzuführen, die vor Quartalen getätigt wurden. Auf lange Sicht sind europäische Autoaktien laut Morningstar-Analysten deutlich unterbewertet.

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BMW i5

Die Ergebnisse des dritten Quartals waren für die meisten europäischen Automobilhersteller sehr gut. Ihr Umsatz und Gewinn stiegen aufgrund der steigenden Anzahl ausgelieferter Autos. Viele dieser Lieferungen gehen auf Bestellungen zurück, die vor Monaten, wenn nicht sogar Quartalen, aufgegeben wurden.

Volkswagen (VOW3) beispielsweise verzeichnete im dritten Quartal einen Umsatzanstieg von 12 % und einen Anstieg des Betriebsgewinns um 16 %. Das war mehr als von Analysten erwartet. Darüber hinaus seien die Fundamentaldaten solide, da alle drei Faktoren Preis, Volumen und Produktmix dazu beigetragen hätten, sagte Richard Hilgert, Aktienanalyst von Morningstar. Die Aktie profitierte zuletzt von dem Ergebnis einer Untersuchung an einem Produktionsstandort in Shenzhen, der zufolge es in dem chinesischen Werk keine Hinweise auf Menschenrechtsverletzungen gebe.

Bei den anderen großen europäischen Namen ist das Bild im Hinblick auf die Quartalsergebnisse ähnlich: Renault (RNL) erzielte 11 % mehr Umsatz mit einem Volumenwachstum von 6 % für die Gruppe, wobei der Heimatmarkt Frankreich ein Volumenwachstum von 22 % und Europa von 12 % verzeichnete. Die französisch-italienisch-amerikanische Stellantis (8TI), die Gruppe hinter den Marken Peugeot, Citroën, Opel, Fiat, Alfa Romeo, Chrysler und Jeep, erzielte ein organisches Umsatzwachstum von 14 % - auch aufgrund von Preis-, Mengen- und Mixeffekten.

Es hieß jedoch, dass Kosteneinsparungen und Margenwachstum durch bessere Mengen die negativen Auswirkungen unter anderem eines Streiks in US-amerikanischen Fabriken weitgehend ausgleichen würden. Gewinnzahlen werden von Renault und Stellantis nur bei der Halbjahres- und Jahrespräsentation angegeben.

BMW (BMW) verzeichnete ein organisches Umsatzwachstum von 7 % und einen Anstieg des Betriebsergebnisses um 9 %; die Gewinnmarge stieg um fast einen Prozentpunkt auf 9,8 %. Das Volumen stieg um 6 %, während frühere Lieferprobleme abnahmen. Interessanterweise stieg der Absatz von Elektroautos um satte 93 %. BMW baut sein Angebot an Elektromodellen zügig aus, und das zeigt Wirkung.

 

Käuferstimmung kehrt sich um

Allerdings hat sich die Stimmung der Autokäufer im Vergleich zu den jetzt ausgelieferten Aufträgen geändert. Steigende Zinsen und die konjunkturelle Abkühlung haben die Verbraucher vorsichtiger werden lassen, was sich in weniger Aufträgen niederschlägt. Vor allem die Nachfrage nach neuen Elektroautos ist deutlich geringer, als der Markt kurz- und mittelfristig erwartet hat. Die Folgen sind bereits spürbar. Denn einige Hersteller, darunter Volkswagen, müssen die Produktion wegen mangelnder Nachfrage teilweise vorübergehend einstellen.

Ein weiterer Faktor ist, dass es immer noch Probleme mit der Teileversorgung gibt. Einige Zulieferer sind nicht immer in der Lage, die benötigten Teile ausreichend oder rechtzeitig zu liefern. Erst waren es Engpässe bei Chips, dann der Krieg in der Ukraine und jetzt Überschwemmungen in verschiedenen Ländern, die einzelne Teileprodukte zeitweise stilllegen.

Dies habe auch im dritten Quartal eine Rolle gespielt und die günstigen Preis-, Mengen- und Mixeffekte bei einigen Anbietern teilweise zunichte gemacht, stellt Hilgert fest: "Die Störungen in der Lieferkette sind jetzt deutlich weniger geworden, aber nicht ganz weg. Chips sind immer noch ein Problem. Erst wenn die Produktionskapazitäten der großen Chiphersteller ab 2024 ausgebaut werden, wird sich das Problem lösen."

 

Unklarheit über Anreize

Die rückläufige Nachfrage nach Elektroautos hängt auch mit der unklaren und unterschiedlichen Regierungspolitik in Bezug auf steuerliche Aspekte und Anreize zusammen. Auf der steuerlichen Seite unternehmen die Regierungen Schritte, um günstige Regelungen auslaufen zu lassen und sie an die Bedingungen und Sätze für Benzinfahrzeuge anzugleichen. 

Die Hersteller spüren die Auswirkungen, da die Nachfrage hinter dem Angebot zurückbleibt: Mercedes-Benz kämpft mit steigenden Lagerbeständen bei seinen elektrischen Topmodellen EQE und EQS, während Tesla die Listenpreise seiner Modelle in mehreren Märkten gesenkt hat, teilweise um mehrere Stufen in relativ kurzer Zeit.

 

Sektor stark unterbewertet

Der faire Wert, den der Analyst Hilgert den europäischen Autoaktien zuweist, liegt deutlich über den aktuellen Kursen. Der Grund dafür ist, dass Hilgert weit in die Zukunft blickt, bis 2025 und darüber hinaus. Seiner Meinung nach wird es in diesem Zeitraum zu einem erneuten Nachfragewachstum und einer schnelleren Umsatz- und Gewinnrealisierung durch eine reibungslosere Auslieferung der bestellten Fahrzeuge kommen. Ein breiteres Angebot an Elektromodellen wird dabei eine wichtige Rolle spielen, prognostiziert Hilgert: "Neue Modelle werden erschwinglicher sein und über modernere Technologie mit größerer Reichweite als heute verfügen. Ab 2025 werden wir wieder ein echtes Wachstum sehen."

Damit vertritt Hilgert die langfristige Sichtweise von Morningstar. Die aktuellen Aktienkurse der europäischen Autokonzerne spiegeln die mageren Ergebnisse der letzten Quartale wider, in denen verzögerte Auslieferungen aufgrund von Teilemangel die Umsätze und Gewinne gebremst haben, aber Hilgert stützt seine Bewertung auf die erwarteten Ergebnisse für 2025 und darüber hinaus.

 

 

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Im Artikel erwähnte Wertpapiere

BezeichnungKursVeränderung (%)Morningstar Rating
Mercedes-Benz Group AG74.36 EUR1.56Rating
Stellantis NV23.13 EUR0.89
Tesla Inc168.29 USD-1.11Rating
Volkswagen AG Vorz-Inhaber-Akt ohne Stimmrecht120.10 EUR1.09Rating

Über den Autor

Robert van den Oever  Robert van den Oever ist Research Editor bei Morningstar in Amsterdam