Merz scheitert an Kanzlermehrheit: Was bedeutet das für die Märkte?

Die deutschen Aktien- und Anleihemärkte reagierten am Dienstag negativ auf den unerwarteten politischen Rückschlag für Merz.

Antje Schiffler 06.05.2025
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illustration av en bandiera med grafik och tidsserier.

Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz hat im ersten Wahlgang kurz nach 10 Uhr nicht die erforderliche Mehrheit für das Amt des Bundeskanzlers erlangt. Trotz des Koalitionsvertrages zwischen CDU/CSU und SPD mit 328 der 630 Bundestagsmandate erhielt Merz nur 310 Stimmen und verfehlte damit die erforderlichen 316 Stimmen um sechs. Ein zweiter Wahlgang ist nun für 15:15 angesetzt.

Der Dax fiel im Morgenhandel nach der Nachricht um rund 1 %, während der breiter gefasste Euro Stoxx 600 Index um 0,5 % nachgab. Verteidigungswerte führten die Verluste an.

Auch die deutschen Anleiherenditen waren zunächst niedriger, da die Ungewissheit über die politische Führung in Deutschland Sorgen über die künftige Ausrichtung der Wirtschafts- und Finanzpolitik aufkommen ließ. Die Rendite der 10-jährigen Bundesanleihe sank um etwa 2 Basispunkte, erholte sich aber später wieder auf etwa 2,54 %.

„Der Vorgang im deutschen Bundestag heute ist ein Paukenschlag und es ist ein schlechter Tag für Deutschland und Europa“, sagt Carsten Roemheld, Kapitalmarktstratege bei Fidelity International. “Durch den vorzeitigen Bruch der Ampel-Regierung sind bereits viele Monate ins Land gezogen, ohne dass die größte Volkswirtschaft Europas politisch handlungsfähig war. Sollte diese Hängepartie weitergehen, sind die politischen und wirtschaftlichen Auswirkungen unabsehbar. Mit Blick auf die Kapitalmärkte ist klar: Nichts verabscheuen die Märkte so sehr, wie Unsicherheit und entsprechend hat der Dax auch schon reagiert. Sollte Deutschland längerfristig führungslos bleiben, ist mit negativen Folgen für den Wirtschaftsstandort zu rechnen.“

Euro hält sich stabil gegenüber US-Dollar

Der Euro hielt sich gegenüber dem US-Dollar trotz der Nachrichten zunächst stabil. Der EUR/USD-Wechselkurs stieg im Morgenhandel um 0,2 % und erreichte 1,1338 $. Marktbeobachter führten den Anstieg auf die allgemeine Marktdynamik zurück, einschließlich der Erwartungen hinsichtlich der Politik der US-Notenbank und der globalen Risikostimmung.

Allerdings könnte eine anhaltende politische Unsicherheit in Deutschland den Euro letztlich belasten, insbesondere wenn das Vertrauen der Anleger in die wirtschaftliche Stabilität der Eurozone schwindet, so Carsten Brzeski, Global Head of Macro bei ING Research, in einer E-Mail an Morningstar.

“Ich denke, dass der Euro auch noch reagieren wird. Falls nicht, würde es bedeuten, dass der Markt weiterhin glaubt, dass das heute nur ein einmaliger Ausrutscher und eine Retourkutsche war, letztendlich Merz aber am Freitag Kanzler wird”, sagt er.

Verteidigungsaktien führen Verluste an

Der politische Stillstand hat insbesondere Sektoren betroffen, die von staatlichen Aufträgen und Infrastrukturausgaben abhängig sind. Aktien aus dem Verteidigungssektor, die im Rahmen des von Merz vorgeschlagenen Investitionsplans in Höhe von 1 Billion EUR mit höheren Ausgaben gerechnet hatten, verzeichneten deutliche Kursverluste:

  • Rheinmetall: -2.86%
  • Hensoldt: -4,42
  • Renk: -2,35

Blick in die Zukunft: Mögliche Szenarien

Das deutsche Grundgesetz sieht eine 14-tägige Frist nach einer gescheiterten Kanzlerwahl vor, um einen neuen Kandidaten zu wählen. Erhält kein Kandidat eine Mehrheit, kann der Bundespräsident entweder einen Kanzler ernennen oder den Bundestag auflösen, was Neuwahlen zur Folge hätte.

“Union und SPD legen somit einen kapitalen Fehlstart hin”, kommentiert Dr. Jan Holthusen, Bereichsleiter Research und Volkswirtschaft der DZ Bank. “Das ist keine gute Voraussetzung für eine fruchtbare Zusammenarbeit. Inmitten der Zoll-Wirren der USA und vor dem Hintergrund des andauernden Krieges Russlands gegen die Ukraine ist dieser Tag ein verheerendes Signal nach innen und nach außen. Zu hoffen ist, dass die heutige Abstimmung nur ein Warnschuss an das Tandem aus Friedrich Merz und Lars Klingbeil war und eine zweite Abstimmung dies korrigiert.”

“Eine längere Hängepartie würde die zarten Wachstumshoffnungen schon wieder abwürgen. Wenn die neue Koalition nicht schnell und glaubwürdig die Bedingungen für Bürger und Unternehmen verbessert – hierzu zählen vor allem der Abbau von Bürokratie, niedrigere Steuern und die richtige Priorisierung von Staatsausgaben – dürfte der Standort weiter an Wettbewerbsfähigkeit verlieren. Den Fehlstart bestätigt auch der DAX: Für den deutschen Leitindex geht es nach der jüngsten Rally erstmal nach unten. Nachhaltige Auswirkungen erwarten wir aber vorerst nicht. Neuwahlen würden die Lage jedoch komplett ändern."

Marcus Poppe, Co-Head European Equities bei DWS und Portfoliomanager DWS Deutschland, sagt: „Das ist eine ziemlich negative Überraschung und schadet dem Ruf der gesamten Koalition und natürlich auch Friedrich Merz. Dennoch bleibt das Basisszenario, dass er gewählt wird und der Markt sich weiterentwickeln wird.“


Der Autor/Autorin oder die Autoren besitzen keine Aktien der in diesem Artikel erwähnten Wertpapiere. Informieren Sie sich über die Redaktions-Richtlinien von Morningstar.

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Über den Autor

Antje Schiffler  ist Redakteurin bei Morningstar in Frankfurt.