EZB senkt Zinsen - aber wird dies die letzte Senkung sein?

Die Europäische Zentralbank senkt ihre Inflationsprognosen und lässt Wachstumsprognose unverändert.

Antje Schiffler 05.06.2025
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Illustration in Form einer Collage, die das Gebäude der Europäischen Zentralbank darstellt, umrahmt von Kugeln, die jeweils Teile eines Euro-Bankscheins enthalten.

Die Europäische Zentralbank hat am Donnerstag ihren Leitzins wie erwartet um 0,25 Prozentpunkte auf 2,00 % gesenkt und damit ihre achte Zinssenkung seit Juni 2024 vorgenommen. Die geldpolitische Entscheidung folgt dem Rückgang der Eurozonen-Inflation im Mai auf 1,9 %. Damit fiel die Teduerungsrate zum ersten Mal seit September 2024 unter das 2%-Ziel der EZB, was vor allem auf sinkende Energiepreise und eine Verlangsamung der Dienstleistungsinflation zurückzuführen ist.

Es war eine fast einstimmige Entscheidung, nur ein Mitglied des EZB-Rats habe dagegen gestimmt, sagte EZB-Präsidentin Christine Lagarde auf der Pressekonferenz. Sie ging nicht näher auf den künftigen Zinspfad ein.

“Die heutige Zinssenkung war angesichts der günstigen Inflationsdaten, die Anfang der Woche veröffentlicht wurden und die auf einen disinflationären Prozess in der Eurozone hindeuten, so gut wie garantiert”, sagt Grant Slade, Ökonom bei Morningstar.

“In ihrer heutigen Erklärung bekräftigte die EZB ihren “datenabhängigen” Ansatz bei der Festlegung ihres geldpolitischen Kurses. Dies spiegelt die Unsicherheit der EZB darüber wider, ob weitere Wachsamkeit erforderlich ist, um den Kampf gegen die Inflation wirklich zu gewinnen, und lässt gleichzeitig Spielraum für weitere geldpolitische Lockerungen, falls die wirtschaftlichen Bedingungen inmitten eines Handelskriegs dies rechtfertigen.”

Die Entscheidung kommt einen Tag, nachdem die EZB und die Europäische Kommission Bulgarien grünes Licht für den Beitritt zum Euro im Jahr 2026 gegeben haben. Damit wäre Bulgarien nach Kroatien, das die gemeinsame Währung 2023 einführt, das 21. Mitgliedsland der Eurozone.

“Der Beschluss zur Senkung des Zinssatzes für die Einlagefazilität – der Zinssatz, mit dem der EZB-Rat den geldpolitischen Kurs steuert – spiegelt die aktualisierte Beurteilung der Inflationsaussichten, der Dynamik der zugrunde liegenden Inflation und der Stärke der geldpolitischen Transmission durch den EZB-Rat wider", so Lagarde.

“Die Inflation liegt zurzeit in der Nähe des mittelfristigen Zielwerts des EZB-Rats von 2 %.”

Lagarde sagte zudem, dass sie nicht beabsichtigt, vor Ablauf ihrer Amtszeit zurückzutreten. Lagardes achtjährige Amtszeit als EZB-Präsidentin läuft bis November 2027.

Änderungen der Leitzinsen der EZB

Die EZB begann ihren Zinssenkungszyklus im Juni 2024, legte im Juli eine Pause ein und nahm ihre Zinsänderungen im September 2024 wieder auf. Bei jeder geldpolitischen Sitzung sanken die Zinsen um jeweils 0,25 Prozentpunkte.

Ab 11. Juni liegen die drei EZB-Leitzinsen bei:

  • Satz der Einlagefazilität: 2,00 %.
  • Hauptrefinanzierungssatz: 2,15%
  • Spitzenrefinanzierungsfazilität: 2,40%

Die EZB ist die erste große europäische Zentralbank, die in diesem Monat eine geldpolitische Entscheidung trifft. Am 19. Juni werden die Bank of England und die Schweizerische Nationalbank geldpolitische Entscheidungen bekannt geben. Während die Inflation im Vereinigten Königreich immer noch hoch ist und die BoE die Zinsen voraussichtlich beibehalten wird, kämpft die Schweiz mit der Deflation. Sie SNB dürfte ihren Leitzins angesichts des starken Frankens und der im Mai auf -0,1 % gesunkenen Inflation auf 0 % senken.

Die US-Notenbank wird ihre geldpolitische Entscheidung einen Tag früher bekannt geben, aber es wird allgemein erwartet, dass sie trotz des zunehmenden Drucks von US-Präsident Donald Trump die Zinsen beibehält.

EZB revidiert Inflationsprognose

Die Ökonomen der EZB revidierten auch ihre Wirtschaftsprognosen. Die Mitarbeiter sehen die Gesamtinflation nun im Durchschnitt:

  • 2,0% im Jahr 2025 (im Vergleich zu 2,3% in der März-Prognose)
  • 1,6% im Jahr 2026 (von 1,9%)
  • 2,0% im Jahr 2027 (unverändert)

"Die Abwärtsrevisionen gegenüber den Projektionen vom März um 0,3 Prozentpunkte sowohl für 2025 als auch für 2026 sind in erster Linie auf die Annahme niedrigerer Energiepreise und einen stärkeren Euro zurückzuführen“, heißt es in der Pressemitteilung.

Die Prognose fürs Wirtschaftswachstum in der Eurozone ließen die Ökonomen fast unverändert:

  • 0,9 im Jahr 2025 (unverändert zur März-Prognose)
  • 1,1im Jahr 2026 (von 1,2%)
  • 1,3% im Jahr 2027 (von 1,3%)

“Ursächlich für die unveränderte Wachstumsprojektion für 2025 ist ein unerwartet starkes erstes Quartal in Verbindung mit schlechteren Aussichten für den restlichen Jahresverlauf”, so Lagarde.

“Während die Unsicherheit im Zusammenhang mit der Handelspolitik die Unternehmensinvestitionen und die Exporte vor allem auf kurze Sicht belasten dürfte, werden steigende öffentliche Investitionen in Verteidigung und Infrastruktur das Wachstum auf mittlere Sicht zunehmend stützen.”

Mit einem Zuwachs von 0,3 % im ersten Quartal gegenüber dem vierten Quartal wuchs die Wirtschaft der Eurozone schneller als vor drei Monaten erwartet, was auf den gestiegenen privaten Verbrauch und die in Erwartung von US-Zöllen vorgezogenen Exporte in die USA zurückzuführen ist.

Auch die Daten für das verarbeitende Gewerbe fielen besser aus als erwartet. Die Industrieproduktion wuchs im ersten Quartal um 4,7 %, was vor allem darauf zurückzuführen war, dass die USA im Vorfeld höherer Zölle Waren aus dem Euroraum in erheblichem Umfang auf den Markt brachten.

“Aber selbst wenn man das Frontloading aus dem Mix herausnimmt, sieht es so aus, als hätte das verarbeitende Gewerbe in der Eurozone die Talsohle erreicht”, sagt Carsten Brzeski von der ING Bank.

“Jüngste Umfragen deuten auf mehr Optimismus hinsichtlich der künftigen Produktion und bessere Auftragsbestände hin. Niedrigere Energiepreise werden den energieintensiveren Herstellern sicherlich helfen, und die angekündigten fiskalischen Anreize in Deutschland sowie die europäischen Verteidigungsausgaben haben sowohl die Auftragsbücher als auch den allgemeinen Optimismus erhöht.”

Und nach der massiven Aufstockung der Vorräte während der Pandemie gibt es Anzeichen für einen Abbau der Lagerbestände.

“Normalerweise ist es die Kombination aus Bestandsabbau und verbesserter Auftragslage, die die Produktion in Zukunft ankurbeln wird”, sagt er.

Weitere Zinssenkung im Juli keine ausgemachte Sache

Die Märkte haben ihre Erwartungen für eine Zinssenkung im Juli erhöht und gehen nun von einer Wahrscheinlichkeit von 45 % aus, gegenüber nur 20 % am Vortag. Der Leitzins für Dezember wurde ebenfalls nach oben korrigiert, von 1,58 % auf 1,63 %, was die Erwartung widerspiegelt, dass die EZB weitere Lockerungsmaßnahmen vorsichtiger vornehmen könnte.

Die Meinungen der Analysten über den nächsten Schritt der EZB gehen auseinander.

„Das abkühlende Lohnwachstum und die zunehmenden Abwärtsrisiken für die Konjunktur werden die EZB in ihrer Lockerungspolitik bestätigen, doch bei einem Leitzins von 2 % ist diese weitgehend neutral“, sagte Mathieu Savary, Chefstratege für Europa bei BCA Research.

„Der EZB-Rat wird daher das Tempo bis 2025 auf eine Senkung um 25 Basispunkte pro Quartal zurückfahren und den Einlagensatz bis zum Jahresende auf 1,5 % senken.”

Carsten Brzeski von der ING Bank sagte: „Da das Risiko einer Inflationsunterdeckung deutlich gestiegen ist, wird die heutige Zinssenkung nicht die letzte sein. Der Inflationsdruck in der Eurozone lässt schneller als erwartet nach.”

David Zahn, Leiter des Bereichs Europäische Festverzinsliche bei Franklin Templeton, rechnet in diesem Sommer nicht mit weiteren Zinssenkungen.

„Der nachlassende Preisdruck und das schwächere Wachstum haben die heutige Entscheidung unterstützt, auch wenn die geldpolitische Haltung weiterhin vorsichtig bleibt. Eine Pause über den Sommer ist sehr wahrscheinlich, da die EZB die Handelsrisiken und die Widerstandsfähigkeit der Binnenwirtschaft bewertet. Längerfristig werden die Haushaltskonsolidierung und externe Gegenwinde die geldpolitischen Aussichten in Richtung einer neutraleren Haltung lenken.“

Anne Beaudu, stellvertretende Leiterin für globale Gesamtstrategien bei Amundi, sagte:

„Wir nähern uns dem Ende des Zinssenkungszyklus der EZB. Wir sind nahe der Neutralität, was bedeutet, dass es nicht viel Spielraum für weitere Zinssenkungen gibt. Angesichts des Niveaus der Anleiherenditen am kurzen Ende der Kurve glauben wir zudem, dass der Markt weitere Senkungen weitgehend eingepreist hat.“

Wann sind die nächsten EZB-Sitzungen im Jahr 2025?

  • 24. Juli 2025
  • 11. September 2025
  • 30. Oktober 2025
  • 18. Dezember 2025

Jocelyn Jovene und Sara Silano haben zu diesem Artikel beigetragen.


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Über den Autor

Antje Schiffler  ist Redakteurin bei Morningstar in Frankfurt.