Welche Geschäftsmodelle der disruptiven Macht der Blockchain trotzen

Viele Geschäftsmodelle werden von der Blockchain-Technologie bedroht. Im dritten Teil unserer Blockchain-Serie haben wir jedoch einige strukturelle Merkmale identifiziert, die Platzhirsche vor der disruptiven Macht der neuen Technologie schützen können.

Jim Sinegal 24.07.2018
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Auf den ersten Blick scheint es klar, dass die Geschäftsmodelle vieler Unternehmen höchst anfällig sind für die zerstörerische Wirkung der Blockchain-Technologie. Bereits seit einigen Jahren geht die Kunde um, dass vor allem Firmen aus den Bereichen Finanztransaktionen, Datenmanagement und auch Marktplätze als Intermediäre bedroht sind, durch die Blockchain aus der Wertschöpfungskette herausgeschnitten zu werden. Im dritten Teil unserer Blockchain-Serie stellen wir einige Gesellschaften vor, die nach dem derzeitigen Stand weitgehend resistent sind gegen die neue Herausforderung. Darüber hinaus arbeiten wir die Eigenschaften dieser Unternehmen heraus.* 

Die Dezentralisierung von Geschäftsprozessen über die Blockchain eröffnet Kunden und Unternehmen Vorteile. Transaktionen werden vereinfacht und somit deutlich günstiger. Gerade bei Zahlungssystemen bieten Blockchain-Währungen mehr Privatsphäre, mehr Transparenz, mehr Sicherheit und niedrigere Kosten (zumindest in der Theorie), als das bei zentralisierten Zahlungssystemen der Fall ist.

Wessen Vorteil?

Allerdings determinieren einzelne Vorteile nicht die Entscheidungsprozesse bei Kunden. Die Platzhirsche habe oft komplexe Geschäftsmodelle aufgebaut und sie besitzen Wettbewerbsvorteile, welche die Funktion eines Burggrabens (Economic Moat) haben. Die Analyse der Bestandteile dieses Economic Moat ist der Kern unseres Aktien-Researchs. Bei Morningstar unterscheiden wir fünf verschiedene solcher Moats: Kostenvorteile, immaterielle Vermögenswerte, Wechselkosten, Netzwerkeffekte und Grösseneffizienz. Jeder dieser Moats ist in der Lage, disruptive Folgen durch eine Dezentralisierung zu verhindern bzw. dieser entgegenzuwirken. (Lesen Sie hier mehr zu unserem Equity Research.)

Es dauert in der Regel Jahre, um die Netzwerkeffekte und immateriellen Vermögenswerte aufzubauen. Die Wechselkosten für Kunden - insbesondere bei komplexen Technologien - können sehr hoch sein. Dezentralisierung führt nicht immer zu niedrigeren Kosten - die Redundanz, die den ursprünglichen Blockchain-Anwendungen innewohnt, erhöht den Zeit- und Kostenaufwand gegenüber zentralisierten Lösungen.

Einzelhändler wie Amazon, Costco und Walmart nutzen ihre Grösse, um Waren kostengünstig zu beschaffen und zu verkaufen. Auch Cloud Computing-Anbieter wie Amazon, Microsoft, Alphabet und Alibaba verteilen die hohen Kosten für Hardware, Software, Strom und Personal auf eine breite Kundenbasis.

Es dauert Jahre, um Netzwerkeffekte und immaterielle Vermögenswerte aufzubauen. Die Wechselkosten für Kunden - insbesondere bei komplexen Technologien - können infolgedessen sehr hoch sein 

Andere Moat-Quellen hängen weniger von der Zentralisierung ab. Immaterielle Vermögenswerte etwa verschaffen Wettbewerbsvorteile. So sind starke Marken (Brands) ein wichtiger Erfolgsfaktor bei Konsumfirmen, und Unternehmen aus dem Gesundheitswesen können aufgrund des Patentschutze überdurchschnittlich hohe Gewinne verteidigen. 

Auch Unternehmen, die von den hohen Wechselkosten profitieren, können aus unserer Sicht gut vor der disruptiven Wirkung durch eine Dezentralisierung geschützt sein. Mitunter entstehen diese Wechselkosten aufgrund von erworbenen Kenntnissen über die Kunden. So müssten die Kunden von Technologieunternehmen wie Adobe Systems, Autodesk und Microsoft (Office) erhebliche Kosten bei einer Umschulung auf ein neues Softwarepaket stemmen. Ebenso investieren Ärzte manchmal Jahre, um die technischen Finessen eines bestimmten medizinischen Geräts zu erlernen. 

Hersteller von Unternehmenssoftware profitieren oft von hohen Wechselkosten aufgrund langer Produktzyklen, hohen Implementierungs- und Schulungskosten sowie Schwierigkeiten bei der Datenmigration. Die geschäftskritische Natur vieler Unternehmenssoftware-Anwendungen - einschliesslich Finanz-, Lieferketten- und Datenmanagement - erhöht die Wechselkosten, obwohl diese Funktionen mit zu den am häufigsten genannten Anwendungsfälle für die Blockchain-Technologie zählen. 

Netzwerkeffekte sind eine wichtige Quelle von Wettbewerbsvorteilen

Der Aufbau von Netzwerkeffekten ermöglicht einigen Unternehmen, breite Burggräben aufzubauen. Netzwerkeffekte sind eine starke Triebkraft für eine Zentralisierung. In unserem Universum decken wir weltweit rund 100 Unternehmen aus verschiedenen Sektoren mit breiten oder engen Burggräben ab, die auf Netzwerkeffekte zurückzuführen sind. Marktplätze wie Expedia, Priceline, eBay, MercadoLibre, Alibaba, Rakuten, Ctrip und Amazon Mehrwert schaffen durch die Koordination der Transaktionen Mehrwert für Käufer und Verkäufer. 

Im Finanzdienstleistungsbereich transferieren American Express, Visa, Mastercard, PayPal, Western Union und Discover Gelder von Verbrauchern an Händler. Börsen wie die Deutsche Börse, die London Stock Exchange, die Intercontinental Exchange, die Australian Stock Exchange und die Singapore Exchange ermöglichen Kunden den Handel mit Wertpapieren. Industrieunternehmen wie Expeditors International und C.H. Robinson dienen als Marktplätze für Transportdienstleistungen. Im Technologiebereich koordinieren soziale Netzwerke wie Facebook und Weibo soziale Interaktionen, während Plattformen wie Betriebssysteme von Microsoft und Alphabet Netzwerke von Entwicklern und Kunden schaffen. 

Das sind alles zentralisierte Netzwerke, während Blockchain dezentrale Netzwerke ermöglicht. Moats, die auf Netzwerken basieren, sind häufig sehr wertvoll, weil sie oft schwierig zu formen und folglich auch zu zerstören sind - und weil sie in vielen Fällen schnell zu einer effizienten Skalierung führen. Die Schaffung eines neuen Netzwerkgeschäfts erfordert in der Regel grössere Investitionen und einen hervorragenden Geschäftsplan. 

Dennoch bleibt die Feststellung valide, dass Blockchain-Tokens völlig neue Möglichkeiten schaffen, um eine Teilnahme an einem Netzwerk zu fördern. Netzwerknutzer und -Entwickler profitieren von ihrer Teilnahme, wenn die Nachfrage nach Diensten wächst. Das ist der Schlüsselmechanismus, durch den derzeitigen wirtschaftlichen Paradigmen gestört werden könnten. Deshalb wollen wir nachfolgend Branche für Branche abklopfen, wie die Blockchain-Technologie auf eine Vielzahl von wirtschaftlichen Aktivitäten angewendet werden kann und welche Moat-Quellen es den etablierten Betreibern ermöglichen könnten, sich der Gefahr eines dezentralisierten Wettbewerbs zu entziehen. 

Zahlungen von Konsumenten an Unternehmen

Wie bedroht sind Unternehmen wie Visa, Mastercard, American Express, Discover, PayPal, Square und Worldpay von der Blockchain-Technologie? Bitcoin ist das erste und naheliegendste Beispiel für einen potenziellen Herausforderer. In der Theorie gibt es keinen Bedarf an Finanzinstituten, die das Konto führen oder Kreditkarten ausgeben. 

Doch fast zehn Jahre nach seiner Einführung befindet sich das Bitcoin-Ökosystem noch in einem Anfangsstadium, obwohl zahlreiche Marktteilnehmer dabei sind, ein Netzwerk von Verbrauchern, Händlern, Minern und Bitcoin-Unternehmen aufzubauen. 

Um das derzeit gängige Zahlungsmodell zu gefährden, müsste das Bitcoin-Ökosystem einen Netzwerkeffekt aufbauen, der mit dem von Visa, Mastercard, PayPal und anderen grossen Anbietern vergleichbar ist. Dies erfordert eine kritische Masse von jeder teilnehmenden Gruppe. Die derzeit grösste Hürde, um mit dem Netzwerk von Visa und Mastercard konkurrieren zu können, stellt die noch nicht ausreichend grosse Bitcoin-Benutzerbasis dar. Die Bedeutung des Netzwerkeffekts ist im Bereich der Zahlungsanbieter jedenfalls nicht zu überschätzen. 

Bei Zahlungssystemen kann Dezentralisierung ein Nachteil sein

Aus unserer Sicht ist der dezentrale Charakter von Bitcoins sogar ein grosser Nachteil beim Aufbau eines Netzwerks von Benutzern und Händlern. Die Nutzung von Kreditkarten und Debitkarten ist auf Banken angewiesen. Dies bietet den Marken Visa und Mastercard eine enorme Nutzerbasis, die nicht so ohne weiteres ohne Bankanbindung herzustellen ist. 

So konnte PayPal zwar ein Netzwerk über eBay aufbauen, indem es den Nutzern und Händlern bei der Abwicklung von Transaktionen einen wertvollen Service bot. Aber die Gesellschaft versucht noch immer, eine physische Präsenz aufzubauen. Sears, der ehemals grösste US-Einzelhändler, hatte 1985 die Discover Card auf den Markt gebracht. Doch die hat es erst kürzlich geschafft, eine Akzeptanz auf einem mit Visa und Mastercard vergleichbaren Niveau zu erreichen – wohlgemerkt nachdem 1997 Morgen Stanley den Bereich Discover übernahm und 2007 an die Börse brachte.

Gegenwärtig ist der Bitcoin im Wesentlichen auf Mundpropaganda angewiesen, um Verbraucher zu gewinnen, und nur wenige kleine Startups versuchen aktiv, Händler zu registrieren. Dabei wird gemunkelt, dass die Akzeptanz im Handel abnimmt, anstatt zu wachsen. Folglich muss das neue Bezahlmodell einen steilen Berg erklimmen, um Visa und Mastercard jemals gefährden zu können. 

In diesem Zusammenhang ist erwähnenswert, dass Unternehmen wie Google, Apple und Facebook, die bereits über umfangreiche und etablierte Nutzerbasen verfügen und damit gegenüber Bitcoins einen grossen Vertriebsvorteil haben, die noch keine erfolgreichen proprietären Zahlungssysteme eingeführt haben. 

Die etablierten Zahlungsnetzwerke investieren viel in ihre Vertriebssysteme und in Marketingkampagnen. Im Laufe der Jahre haben diese Ausgaben zur Schaffung wertvoller immaterieller Vermögenswerte beigetragen, wie etwa angesehene Markennamen. Unseres Erachtens kann ein dezentrales System wie Bitcoin diese Bemühungen alleine nicht bewältigen. 

Geringe Schutzmassnahmen stehen Akzeptanz von Verbrauchern entgegen

Wir glauben auch, dass die vergleichsweise geringen Schutzmassnahmen ein Problem für die Akzeptanz durch die Verbraucher sein wird. Bitcoin-Transaktionen sind so konzipiert, dass sie nicht rückgängig gemacht werden können. Das ist ein Vorteil für Händler, die nicht mehr die Verantwortung für die Betrugsprävention übernehmen müssen. Doch für eine Akzeptanz durch die Verbraucher stellt das ein wesentliches Hindernis dar. 

Auch auf der Händler-Ebene gibt es Hindernisse für eine Adoption. Erstens ist es kostspielig und schwierig, in grossem Umfang eine neue Point-of-Sale-Technologie an physischen Standorten einzuführen. 

In der Theorie könnte die Bitcoin-(Blockchain-)Technologie Händler zu Kosteneinsparungen verhelfen. So werden bei Kreditkartentransaktionen Rabattsätze von durchschnittlich 2,3 Prozent des Transaktionswerts verlangt, die unter den Teilnehmern aufgeteilt werden. Verglichen damit scheint Bitcoin auf den ersten Blick eine viel günstigere Option zu sein. Die Unumkehrbarkeit von Vorgängen im Bitcoin-System stellt einen offensichtlichen Kostenvorteil für Händler dar. Etwa 20 Prozent der oben erwähnten Abschläge entfallen auf Schaden durch Kartenbetrügereien, die rückgängig gemacht werden müssen. 

Allerdings bringt das Bitcoin-Peer-to-Peer-Netzwerk Händlern keinen grossen Vorteil, was überraschen mag. Wir schätzen, dass die Kosten für den Netzwerkbetrieb, einschliesslich der Marketingfunktionen, nur einen kleinen Teil einer typischen Rabattgebühr ausmachen. Die Ausgaben des Kartenherausgebers und der kartenführenden Bank machen fast die Hälfte der Ermässigungsgebühr aus. Auf den ersten Blick scheint dies ein klarer Vorteil für Bitcoins zu sein. Die meisten Händler und Karteninhaber sind jedoch auf ähnliche Dienstleistungen angewiesen, etwa um auf das Bitcoin-Netzwerk zuzugreifen und um Dokumentationen zu führen. Indes fehlt es den neuen Anbietern an der Grösse der altbekannten Kartenherausgeber und der kartenführenden Banken. Aus unserer Sicht ermöglicht der Bitcoin den Banken und Händlern Vorteile, weil das Sicherheitsrisiko auf die Käufer verlagert wird. Das spricht nicht dafür, dass Verbraucher in grossem Stil auf diese Technologie fliegen werden. 

Damit der Bitcoin zu einer echten Bedrohung der Kartenanbieter wird, müssen die Blockchain Start-ups Vorteile für Verbraucher zu schaffen. Gleichzeitig müssen sie leistungsstarke Vertriebsmodelle entwickeln, vertrauenswürdige Marken aufbauen sowie die Akzeptanz-Kosten niedrig halten. Derzeit halten wir die Wahrscheinlichkeit für Erfolge in allen diesen Bereichen für gering. Dies sollte und wird Risikokapitalgeber zwar nicht davon abhalten, weiter in das Potenzial von Bitcoins zu investieren, alles in allem dürfte aber die Begeisterung für die Krypto-Währung übertrieben sein. 

Das letzte Hindernis stellt die Tatsache dar, dass die Abwicklung von Bitcoin-Transaktionen sehr teuer sein kann. Die durchschnittliche Transaktionsgebühr beträgt derzeit 1,0018 Dollar, aber die Gebühren sind im Laufe der Zeit deutlich über dieses Niveau gestiegen. Im Vergleich mit den durchschnittlichen Kosten für eine US-Debit-Transaktion sind Bitcoins somit derzeit kein Schnäppchen. 

Clearing und Abwicklung, Verwahrdienstleistungen

Wie betroffen sind Unternehmen wie CME Group, Bank von New York Mellon und State Street? Die Blockchain verspricht, die zentrale Kontrolle von Transaktionen zu eliminieren, Transaktionskosten zu reduzieren und redundante Datensätze zu beseitigen. Die Finanzmärkte gehören zu den komplexesten, teuersten und redundantesten Systemen in der Wirtschaft. Post-Trade-Prozesse umfassen derzeit beispielsweise Zahlungssysteme, Wertpapierabwicklungssysteme, zentrale Wertpapierverwahrstellen und zentrale Gegenparteien - oft verteilt über mehrere Gerichtsbarkeiten. Die US-Notenbank Federal Reserve hat einige der Motive umrissen, die Finanzunternehmen dazu veranlassen, Blockchain-Lösungen zu erforschen. Dazu zählen eine verringerte Komplexität, eine höhere Verarbeitungsgeschwindigkeit, geringerer Abstimmungsbedarf, grössere Transparenz, eine verbesserte Netzwerkstabilität und ein reduziertes Betriebsrisiko. 

Generell bietet die Bündelung von Handels- und Nachhandels-Aktivitäten zu einem einzigen Schritt immense Geschwindigkeitssteigerungen und hat das Potential, die Kosten zu senken. Die Unternehmensberatung Accenture schätzt, dass Investmentbanken 70 Prozent der Kosten der Finanzberichterstattung sparen können. Bei Compliance könnten und zentralisierten Back-Office-Operationen könnten bis zu 50 Prozent der Kosten gespart werden. 

Die Unternehmensberatung Accenture schätzt, dass Investmentbanken mit der Blockchain-Technologie 70 Prozent der Kosten der Finanzberichterstattung sparen könnten

Der Blockchain-Bericht der Fed zeigt auch die Bedeutung von Netzwerkeffekten beim  Zahlungsverkehr sowie beim Clearing und der Abwicklung auf. Marktteilnehmer und Regulierungsbehörden müssten sich wahrscheinlich einem Blockchain-basierten System anschliessen und daran teilnehmen. Daraus folgt, dass ein Industrie-Konsortium die Quelle neuer Technologien sein könnte und nicht eine disruptive, dezentralisierte Kraft von ausserhalb der Branche, da es für einen Disruptor schwierig wäre, eine ausreichend grosse Zahl an Akteuren aus der Finanzindustrie an Bord zu holen. 

Ein weiterer Faktor sind die Wechselkosten. Banken verwenden immer noch Systeme, die teilweise mehr als 30 Jahre alt sind. Abgesehen von der Anforderung, dass eine neue Technologie mit diesen Systemen komplett kompatibel sein müsste, zeigt das fortgeschrittene Alter einiger der nach wie vor verwendeten System, wie langsam sich die Finanzindustrie bewegt und wie hoch die Wechselkosten für die Teilnehmer sind. 

Auch in der Welt der Verwahrung (Custody) sind die Wechselkosten hoch. Die Back-Office-Infrastrukturen der Kunden sind oft eng an die Infrastrukturen der Verwahrstellen (Custodians) gekoppelt. Die erbrachten Leistungen sind für funktionierende Abläufe sehr wichtig und mit extrem hohen Ausfallkosten verbunden. Darüber hinaus bieten grosse Custodians in der Regel neben dem einfachen Custody und Reporting weitere Mehrwertdienste an, was die Wechselkosten zusätzlich erhöht. Zu bedenken ist auch, dass die komplexen Bedürfnisse institutioneller Anleger weit über die reine Post-Trade-Bearbeitung und Buchführung hinausgehen. 

Die grossen Custody-Banken profitieren bereits von Skaleneffekten

Während die Blockchain allgemein Kostensenkungen verspricht, bieten die Bereiche Post-Trade und Custody dafür möglicherweise nicht die besten Chancen. Die grössten Custody-Banken, Börsenbetreiber und Industrie-Dienstleister (wie Depository Trust & Clearing) sind bereits gut skaliert: Sie agieren als Custodians von Vermögenswerten im Wert von Trillionen und wickeln Zig-Millionen Transaktionen täglich ab. Aufgrund der Skalierbarkeit der geleisteten Tätigkeiten und dem vorherrschenden Konkurrenzdruck sind die teilnehmenden Gesellschaften bestrebt, die anfallenden Kosten niedrig zu halten.

Wir gehen nicht davon aus, dass die Blockchain-Technologie viele der Handels- und Clearing-Funktionen ersetzen kann, welche die oben erwähnten Terminbörsen erbringen. Die Blockchain könnte zwar in einigen Bereichen der Handelsverarbeitung Einsatz finden, doch das (selbst geschaffene oder lizensierte) geistige Eigentum der Terminbörsen ist ein wichtiger Aspekt beim Handel. Während ein neues Blockchain-System den Handel an sich ermöglichen könnte, ist es möglicherweise nicht in der Lage, Produkte zu handeln, die anderen juristischen Personen gehören, wie Futures auf den S&P 500 Index. Für jeden neuen Blockchain-nutzenden Marktteilnehmer wäre es auch, die physische Infrastruktur wie Lagerhallen zu duplizieren, die für den Handel und die Abrechnung vieler physischer Güter wie Metalle und Landwirtschaftsprodukte benötigt werden. 

Auch wichtige Funktionen von Clearinghäusern können nicht direkt durch Blockchain ersetzt werden. Für die Futures-Clearinghäuser besteht ihre Hauptfunktion in der Verbesserung des Ausfallsrisikos der Kontrahenten. Ein Blockchain-Teilnehmer in Futures-Clearing müsste das Vertrauen vieler der grössten Finanzinstitute gewinnen und in der Lage sein, Vermögenswerte von ihren Konten zu übertragen, wenn sich Handelspositionen in Verlustpositionen verwandeln, um so sicherzustellen, dass der Teilnehmer auf der anderen Seite des Geschäfts für seine Gewinnposition auch bezahlt werden kann. 

Für das Clearing von Futures betrachten wir Blockchain derzeit eher als eine Möglichkeit, bestehende Prozesse effizienter zu gestalten, aber weniger als eine komplett disruptive Kraft. Tatsächlich plant die australische Börse bereits, die Blockchain-Technologie für Clearing- und Abwicklungszwecke zu nutzen. 

Cloud Computing 

Wie stark sind Unternehmen wie Amazon, Microsoft und Dropbox von der Blockchain betroffen? Eine Blockchain ist so etwas wie eine verteilte Rechenleistung. Folglich ist es sinnvoll, dass Technologieunternehmen zügig beginnen sollten, die Blockchain zur Dezentralisierung von Rechenleistung zu nutzen. Ethereum ist ein verteiltes Computersystem. Filecoin, ein mit Box und Dropbox konkurrierendes dezentrales Speichernetzwerk, konnte mit seinem ersten Initial Coin Offering mehr als 250 Millionen Dollar an Risikokapital einsammeln. Dem ersten Blick nach zu urteilen scheinen dezentrale, verteilte Rechenressourcen in der Lage zu sein, grosse Anbieter in kurzer Zeit zu bedrängen. 

Dieser Anwendungsfall veranschaulicht jedoch einige der Spannungen, die der Sharing Economy innewohnen. Die erfolgreichsten Unternehmen in diesem Bereich, wie Uber und Airbnb, bieten eine Möglichkeit, um nicht ausgelastete Kapazitäten zu monetarisieren. Es handelt sich weniger um eine Option zur Organisation dieser Kapazitäten. 

Doch Uber hat inzwischen bereits ein Programm gestartet, um die eigene Flotte von automatisierten Fahrzeugen zu managen, anstatt nur Angebot und Nachfrage zusammenzubringen. In ähnlicher Weise wird die Rechenleistung aufgrund der massiven Kostenvorteile, die mit der Skalierung einhergehen, zunehmend zentralisiert. Unternehmen lagern die kapitalintensiven Funktionen mit hohen Fixkosten für die Bereitstellung von Rechenleistung und Datenspeicherung zunehmend an eine Handvoll grosser Anbieter aus, anstatt diese Funktionen intern auszuführen und schwankende Überkapazitäten auf dem freien Markt zu verkaufen. 

Technische Fragen stellen ebenfalls ein Hindernis für die Verbreitung von einigen Blockchain-basierten Lösungen dar. So erfordern bestimmte Verarbeitungstypen eine zentralisierte Steuerung, dazu zählen serielle und andere Berechnungen, die nur schwer parallel ausgeführt werden können. Dezentrale Systeme eignen sich gut für Aufgaben, die leicht in kleinere Teile zerlegt werden können und wenn ein hohes Mass an Redundanz / Ausfallsicherheit erforderlich ist. Watson (IBM) zum Beispiel besteht aus einem Cluster von Prozessoren, die eine verbesserte Kommunikationsgeschwindigkeit und -flexibilität bieten, während das BOINC-System mit SETI @ Home und anderen ähnlichen Projekten auf Tausenden von kleineren Computern weltweit läuft. 

Sicherheits- und Datenhoheitsfragen begünstigen auch hier wieder die etablierten Betreiber gegenüber einer dezentralen Lösung. Sensible Daten müssen oft in einer bestimmten Jurisdiktion gespeichert werden. Dies ist ein Thema für alle Anbieter von Cloud-basierten Lösungen, nicht nur für Blockchains. 

Das Cloud Computing kann in drei Segmente unterteilt werden: Infrastruktur als Service (ausgelagerte Virtualisierung, Server, Speicher und Netzwerk), Plattform als Service (ausgelagerte Infrastruktur, Betriebssystem, Datenbank, Middleware und Runtime) und Software als Service (ausgelagerte Infrastruktur und Plattformen sowie Anwendungen und Daten). Blockchain-basierte verteilte Systeme bieten zunächst primär Infrastrukturen und Plattformen als Dienstleistungen an. 

Kostenvorteile aufgrund von Grössenvorteilen sind es, welche die etablierten Anbieter auf dem IaaS-Markt begünstigen. Die Anbieter müssen hier in der Lage sein, Skalierungseffizienzen bei den Kosten zu erzielen, die beim Betrieb eines Rechenzentrums anfallen. Dazu zählen Technologie-Hardware, Infrastruktur-Software, Grundstücke, Strom, Kühlanlagen, Netzwerk und IT-Mitarbeiter zur Verwaltung der Infrastruktur. Es erfordert erhebliche Anlaufinvestitionen, um ein ausreichend grosses Netzwerk von Datenzentren aufzubauen, die Vereinbarungen in Sachen Kundendienstleistungen, Governance, Datenhoheit und Regularien zu erfüllen sowie bei Ausfällen oder Nachfragespitzen ein ausreichendes Angebot bereitzustellen. Auch hier sind die angebotenen Dienstleistungen - über die standardisierte Rechenleistung hinaus - der wertvollere Teil des IaaS-Geschäfts. 

Wir glauben, dass Wettbewerbsvorteile bei „Platform as a Service“ in erster Linie durch anfallende Wechselkosten entstehen. Die meisten PaaS-Angebote erzeugen eine natürliche Kundenbindung, weil Anwendungen auf einem festen Software-Stapel entwickelt werden, der häufig proprietäre Komponenten wie Programmiersprachen, Datensätze und andere Softwareschichten enthält. Zur gleichen Zeit fügen grosse Technologie-Unternehmen wie Microsoft, IBM und Amazon ihren derzeitigen PaaS-Angeboten die Blockchain als Service hinzu. 

Kreditauskunft 

Wie betroffen sind Kreditauskunfteien wie Equifax und Experian? Kreditauskunfteien zeigen die Risiken auf, die mit der zentralisierten Kontrolle von scheinbar privaten Daten verbunden sind. Wichtige Kreditauskunfteien mussten in den vergangenen Jahren Angriffe auf die von ihnen verwalteten Daten hinnehmen. Zu den betroffenen zählte auch die Wirtschaftsauskunftei Equifax, bei der im September 2017 Millionen von persönlichen Daten von Kunden verloren gingen. Andere private Daten, wie zum Beispiel Gesundheitsdaten, können gleichermassen anfällig sein. Eine gesicherte, gemeinsam genutzte, dezentrale Datenbank bietet den Kunden mehr Sicherheit und Privatsphäre. Venture-Unternehmen, die solche Systems herstellen wollen, sind bereits am Start. So ermöglicht es beispielsweise Bloom den Benutzern, eine Identität zu erstellen und anderen Teilnehmern, diese Identität zu überprüfen. Ausserdem ist eine sichere Speicherung von Schuldentilgungsdaten möglich und es wird ein Gesamt-Score kreiert, ohne die dabei eingeflossenen persönlichen Daten zu veröffentlichen. 

Eine Disruption dieser Geschäftsfelder erscheint jedoch ebenfalls unwahrscheinlich. Die Moats der Kreditbüros resultieren aus wertvollen immateriellen Vermögenswerten, die wiederum aus Daten stammen, die über Jahre hinweg gesammelt wurden. Das verhilft den etablierten Anbietern zu einem grossen Wettbewerbsvorsprung gegenüber den neuen Herausforderern. 

Frachtgut-Vermittlung 

Wie betroffen sind Unternehmen wie C.H. Robinson, Echo Global Logistics und Landstar? Logistik-Funktionen umfassen die Koordination von Informationen zwischen verschiedenen Parteien in der Lieferkette. Die Lagerung und der Transport von Gütern erfordern oft mehrere Zwischenhändler. Die Kommunikation zwischen den Parteien beim LKW-Transport läuft oft noch sehr manuell ab. Mitunter benötigen Broker und Speditionen Stunden, um eine Transaktion abzuschliessen. Das Prozedere umfasst dabei typischerweise mehrere Telefonanrufe und E-Mails, um Punkte wie Terminplanung und Frachtsätze zu vereinbaren oder Status-Aktualisierungen abzustimmen. Es schreit also nach einer Vereinfachung der Transportmärkte. 

Und tatsächlich haben die Transportmärkte bereits damit begonnen, sich neu aufzustellen. Digitale Frachtmärkte wie Uber Freight nehmen jetzt auf Anfrage die Abstimmung zwischen den Spediteuren und den Versendern ab. Mit Hilfe von Algorithmen sind sie dabei, die bisherigen Zwischenhändler zu ersetzen. Wir denken, dass die Hauptunterschiede zwischen den digitalen Frachtmärkten und traditionellen Brokern wie C.H. Robinson, Echo und Landstar darin besteht, dass die neuen Anbieter dank digitaler Apps viel weniger Personal benötigen. 

Die grossen traditionellen Broker verwenden dagegen ein Modell, das Technologie, Back-Office-Mitarbeiter und äusserst proaktive Verkäufer kombiniert. Der Erfolg der digitalen Frachtmärkte hängt von der Entwicklung eines breiten Netzes von kleinen Frachtgesellschaften und dem Angebot preisgünstigerer Dienstleistungen ab. Fracht-Apps dürften in den kommenden Jahren wahrscheinlich etwas an Fahrt gewinnen, und sie könnten sich als ein erster Schritt zur Anwendung der Blockchain-Technologie in der Logistik entpuppen. Wir glauben aber nicht, dass dies katastrophale Folgen für jene herkömmlichen Makler nach sich ziehen muss, die über Wettbewerbsvorteile (Moats) verfügen. 

Die Netzwerk-Effekte bei den oben erwähnten Firmen, stellen den Rahmen dar, um die Bedrohung durch eine digitale Frachtabstimmung abzugrenzen. Je mehr Parteien (Lieferanten und Kunden) das Netzwerk eines Logistikdienstleisters nutzen, desto leistungsfähiger wird sein Netzwerk und desto schwieriger wird es, dieses zu replizieren. 

Traditionelle Makler wie C.H. Robinson, Echo Global Logistics und Landstar haben einen immensen Kundenstamm an Frachtversendern aufgebaut, der eine ausreichend hohe Nachfrage nach LKW-Ladekapazitäten verspricht und gleichzeitig eine robuste Kaufkraft im Vergleich zu kleinen und mittelgrossen Maklern und Spediteuren bietet. Im Zusammenspiel mit guten Beziehungen und viel Erfahrung gelang es C.H. Robinson und Echo im Laufe der Jahre, Aufträge bei den grossen Verladern zu gewinnen. Gleichzeitig haben diese Gesellschaften auch umfangreiche IT-Investitionen getätigt, was ihnen hilft, das grosse Reservoirs an Markttransaktionsdaten zu monetarisieren, und wir gehen davon aus, dass dies auch weiterhin so bleibt. 

Marktplätze und Distributoren 

Wie stark sind Unternehmen sind Amazon, Alibaba, McKesson und Anixter betroffen? Theoretisch können alle Arten von Marktplätzen in eine Blockchain verschoben werden. Amazon und Alibaba haben Dutzende von Branchen entscheidend gestört, indem sie Käufer direkt mit Verkäufern verbunden haben, indem sie die Rolle des "vertrauenswürdigen Dritten" übernommen haben. Blockchain-Technologie und intelligente Verträge könnten diese Vermittler überflüssig machen. 

Es gilt zunächst die Annahme, dass der Übergang zur Blockchain am einfachsten dort zu bewerkstelligen ist, je stärker das Produkt oder die Dienstleistung standardisiert ist. Das israelische Unternehmen LaZooz beispielsweise bietet bereits einen dezentralen Transportdienst wie der von Uber an; OpenBazaar gilt als Konkurrent zu Marktplätzen wie eBay oder Etsy. Selbst für Unternehmen, die nur einen Marktplatz anbieten, sind bestehende Netzwerkeffekte schwer zu brechen und neue Netzwerke schwer zu etablieren. 

Morningstar deckt eine Vielzahl von industriellen Distributoren ab, von denen die meisten nicht nur als Marktplatz fungieren, sondern auch Zusatzdienste anbieten. Diese Lieferketten- und Bestandsmanagement-Dienstleistungen umfassen Inventur-Programme und eine Vielzahl verwandter Lösungen. Diese Angebote könnten interne Beschaffungsspezialisten überflüssig machen und den Produktverbrauch und -verlust verringern. 

Viele Distributoren verfügen über technisches Know-how und bieten Betriebsüberprüfungen an, die den Kunden Zeit und Geld sparen. Viele unterhalten auch Lagerbestände und profitieren von der durch Skaleneffekte erzeugten Kaufkraft. Skaleneffekte sind dabei in der Pharma-Distributionsindustrie noch häufiger als anderswo anzutreffen: Drei Unternehmen kontrollieren hier 90 Prozent der Kaufkraft, während die Endanbieter relativ klein und fragmentiert sind. Pharmadistributoren bieten ihren Kunden Franchise-/Netzwerk-Infrastrukturen, Bestandsverwaltung, Erstattungs-/Zahlungsverwaltungsdienste und Gruppeneinkaufsrabatte an. Während kleinere Apotheken auf diese Dienste für grundlegende Betriebsbedürfnisse angewiesen sind, verwenden Markenhersteller auch AmerisourceBergen, Cardinal Health und McKesson als ihre Vertriebs- und Bestandsmanagement-Abteilungen. Statt interne logistische Operationen aufzubauen, nutzen die Hersteller das Know-how, die Lager-Netzwerke und die Beziehungen zu Einzelhandelsapotheken der grossen Distributoren. 

Morningstar hat jüngst eine Bewertung der Störanfälligkeit von Distributoren durch digitale Disruption durchgeführt und nach unserer Meinung sind die Ergebnisse dieser Studie auch auf die Blockchain-Bedrohung anwendbar. Unternehmen, die spezialisierte Produkte verkaufen, ihre Grösse zur Steigerung der Kaufkraft ihrer Kunden nutzen und Mehrwertdienste anbieten, sollten sich als widerstandsfähig gegenüber der Bedrohung durch neue digitale Vermittler sowie der vollständigen Disintermediation ihres Geschäfts durch die Blockchain erweisen. 

Selbst Amazon hatte grössere Schwierigkeiten damit, den Business-to-Business-Markt zu durchdringen, da Spezialisierung und Service (immaterielle Vermögenswerte) hier ebenso wichtig sind wie Netzwerkeffekte. Im Bereich der Bürobedarfsartikel stellte die US- Verbraucherschutzbehörde Federal Trade Commission fest, dass die begrenzte Erfahrung Amazons im Bereich „Request for Proposals“, mangelnder kundenspezifischer Preisgestaltung und die mangelnde Kontrolle über Preisgestaltung und Lieferung durch Dritte die Chancen des Online-Einzelhandelsriesen beeinträchtigen mit Spezialisten wie Office Depot und Staples zu konkurrieren. 

Business-to-Business-Distributoren bieten in der Regel Logistik-Know-how an, das sich mindestens auf Augenhöhe mit Amazon bewegt. Eine Blockchain-basierte Lösung dürfte an diesen Hürden höchst wahrscheinlich scheitern.

Für den Hintergrund lesen Sie hier Teil I unserer dreiteilegen Blockchain-Serie: Blockchain: Die disruptive Macht der Dezentralisierung. Teil II befasst sich mit den Möglichkeiten und Grenzen der dezentralisierten Technologie.

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Über den Autor

Jim Sinegal  Jim Sinegal is the associate director of the financial team at Morningstar.