Überschätzte ETFs - unterschätzte ETFs

Das ETF-Marketing hebt regelmäßig bestimmte Eigenschaften börsennotierter Indexfonds hervor. Die klingen gut, sind aber oft nicht so wichtig für Anleger. Manche Vorteile werden wiederum unterschätzt.

Ali Masarwah 02.07.2020
Facebook Twitter LinkedIn

Man kann börsennotierte Indexfonds auf das Wesentliche reduzieren: Es sind Fonds, die über den Vertriebsweg „Börse“ gehandelt werden. Doch das würde die Bedeutung der ETF-Revolution verkennen, die vor ziemlich genau 20 Jahren in Europa eingeläutet wurde. Der wohl wichtigste Vorteil von ETFs ist, dass sie zur Demokratisierung der Kapitalanlage beitragen. Sie haben Privatanlegern erstmals den Zugang zu Fonds verschafft, die institutionelle Konditionen aufweisen, also sehr billig sind. 

Mit der zunehmenden Popularität von ETFs in Europa wurden einige Eigenschaften von ETFs so effektiv vom Marketing der ETF-Anbieter hervorgehoben, dass Anleger übersehen, dass diese Vorteile eher marginal, manchmal sogar in der Praxis Nachteile sein können. In der Praxis der ETF-Anlage werden wiederum bedeutende Vorteile wiederum ignoriert. Eine Übersicht über überschätzte und ignorierte Vorteile. 

Überschätzt: Die sekündliche Handelbarkeit 

ETFs werden wie Aktien während der normalen Handelszeiten über die Börse gekauft und verkauft, oftmals innerhalb weniger Sekunden. Das wird von Brokern und auch ETF-Anbietern regelmäßig hervorgehoben. Doch die sekündliche Handelbarkeit ist für Langfristinvestoren bestenfalls irrelevant. Die Intraday-Handelbarkeit kann sogar Anleger dazu verleiten, öfter zu handeln, als es ihnen guttut. Merke: Man muss kein ETF-Trading betreiben, nur weil man es kann. Gerade in Krisenzeiten sollten man sich davor hüten, weil man nur auf etwas reagiert, was sich nicht mehr ungeschehen machen lässt. Nicht umsonst hat der Urvater der Indexfonds John „Jack“ Bogle wiederholt darauf hingewiesen, dass die Flexibilität von ETFs potenziell nachteilige Folgen für Anleger haben kann. 

Unterschätzt: Die multiplen Einsatzmöglichkeiten von ETFs 

Die Flexibilität von ETFs wird in anderer Hinsicht vollkommen unterschätzt. Die Flexibilität und Vielfalt der Einsatzmöglichkeiten! Anleger können ETF-Anteile long gehen, sie leer verkaufen, sie auf Margin kaufen, es gibt Optionen auf sie, sie können verliehen werden. Das klingt exotisch, aber diese Vielseitigkeit zieht eine große und vielfältige Anlegerbasis an. Die Vielfalt der Anlegerbasis von ETFs und ihrer multiplen Anwendungsmöglichkeiten schafft erst die Grundlage für die hohe Liquidität der großen, breit diversifizierten ETFs, die dann allen Anlegern zugutekommt. 

Überschätzt: Die tägliche Transparenz 

Dass Anleger an jedem Handelstag quasi live sehen können, was – und mit welcher Gewichtung – im ETF steckt, wird als Vorteil hervorgehoben. Faktisch ist das aber für die meisten Anleger irrelevant. Sie wollen langfristig einen Zugang zu einem Markt haben, dessen Zusammensetzung recht stabil ist. Ich habe keine Anleger in aktiv verwalteten Fonds auf die Barrikaden steigen sehen, weil sie nur einmal monatlich feststellen können, wie hoch die Gewichtung der Aktien in den Fonds sind. Eher dürfte Langfristanleger die häufig wechselnden Besetzungen in ihren aktiv verwalteten Fonds stören – häufige Transaktionen kommen Anleger teuer zu stehen! 

Unterschätzt: Die Berechenbarkeit 

Spiegelbildlich ist die gute Vorhersagbarkeit der Zusammensetzung von ETFs vorteilhaft für Anleger. Sie ist die Folge der Stabilität und der niedrigen Umschichtungsquoten bei Standard-Indizes. Die Regeln für die Auswahl und die Gewichtung von Wertpapieren in ETFs sind bekannt, und daher brauchen Investoren ihre ETF-Portfolios nicht täglich zu kontrollieren, weil sie im Prinzip wissen, was sie erwartet. Anleger sind bei ETFs (wie bei anderen Indexfonds auch) nur mit dem Marktrisiko konfrontiert. Ganz anders ist der Fall bei aktiven Fonds gelagert. Zusätzlich zum Marktrisiko sind Anleger mit sogenannten idiosynkratischen Risiken konfrontiert, in erster Linie dem Managerrisiko. Bei Indexfonds braucht man sich keine Sorgen darüber zu machen, ob ein erfolgreicher Manager geht, oder ob dieser sein „glückliches Händchen“ behält. 

Überschätzt: Die Kostenvorteile von ETFs gegenüber nicht-börsennotierten Indexfonds 

In früheren Zeiten waren die Kostenvorteile von ETFs tatsächlich groß, da viele nicht-börsennotierte Indexfonds spezielle Retail-Kanäle bedienten und es sich leisten konnten, nicht kompetitiv gepreist zu sein. Heute hat sich das aber verändert – Häuser wie iShares, Vanguard, Fidelity, Amundi und andere Indexfonds-Anbieter haben „offene“ Indexfonds in großem Stil lanciert, deren Kosten deutlich günstiger sind als die Indexfonds früherer Tage, auch wenn sie zumeist etwas teurer sind als ETFs. 

Unterschätzt: Kostenvorteile von nicht-börsennotierten Indexfonds gegenüber ETFs 

Auch wenn die Produktkosten bei nicht-börsennotierte Indexfonds oftmals teurer sind als ETFs, haben sie andere Kostenvorteile, die viele Anleger nicht zur Kenntnis nehmen. Es fallen keine Geld- oder Brief-Spannen an, keine Brokergebühren und es gibt keinen Market Impact. Diese Kosten können sich über die Zeit, vor allem bei Anlegern, die regelmäßig sparen, auf erkleckliche Dimensionen summieren. Anleger sollten ihre Bleistifte spitzen, um zu sehen, ob es sich lohnt, die Transaktionskosten von ETFs in Kauf zu nehmen. 

Überschätzt: Der „Wettlauf nach unten“ bei den ETF-Kosten 

Natürlich sind die Kosten ein entscheidender, ja sogar der entscheidende Erfolgsfaktor für Anleger. Sie sind entsprechend der Grundbaustein der ETF-DNA. Allerdings können es ETF-Investoren zu weit treiben, wenn sie sich nur auf die Produktkosten kaprizieren. Ich behaupte: Es ist nicht entscheidend, ob ein Aktien-ETF fünf oder sechs oder sieben Basispunkte kostet. Zwar unterbieten sich ETF-Anleger derzeit bei der Lancierung neuer, billigster Produkte, aber wer sich nur nach den Produktkosten richtet, beachtet möglicherweise andere wichtige Faktoren nicht: Die Liquidität des Produkts, die Qualität der Indexreplikation, die Anzahl der Market Maker, der Auflagestandort, ja, sogar die Frage, ob es sich um einen thesaurierenden oder ausschüttenden ETF handelt, gerät bei Privatanlegern oftmals aus dem Fokus. 

Unterschätzt: Die Stetigkeit im Vertrieb 

Im Nachhinein erwies sich die Einführung von Gratis-ETF-Sparplänen in großem Stil durch Xtrackers im Jahr 2010 mit der damaligen Direktbank DAB als Startschuss für den Massenvertrieb von ETFs unter Privatanlegern in Deutschland. Ein Grund für den Erfolg der Initiative war die Beharrlichkeit der Marktbearbeitung. Bis zur Integration der DAB durch BNP Paribas Mitte 2016. Danach wurde das Angebot zusammengestrichen. Zwar sind Gratis-Sparpläne heute gang und gäbe, aber es handelt sich überwiegend leider um kurzfristige Aktionen mit begrenzten Angeboten. Das hat Unruhe in den Markt gebracht. Vermutlich betreiben nicht wenige Anleger „Sparplan-Hopping“ bei verschiedenen Brokern, möglicherweise mit nicht passgenauen Produkten, nur um auf Teufel komm raus Kosten zu sparen. Das tut ihrer Sache vermutlich nicht gut. 

Überschätzt: Voll replizierende ETFs 

Es ist häufig der Rat zu hören, wonach Anleger nur auf „echte“ ETFs setzen sollten. Damit sind physisch replizierende ETFs gemeint. Das sind ETFs, die nur in die tatsächlichen Bestandteile des zugrunde liegenden Index investieren. Spiegelbildlich werden Swap-ETFs als Teufelszeug gehandelt, weil sie eine derivative Komponente beinhalten. Oft wird dann der DAX-ETF zitiert, der aus japanischen Nebenwerten bestehe. Das ist zum einen lange passé und zum anderen führt die Polemik dazu, dass Anleger übersehen, dass „echte“ ETFs, die Wertpapierleihe betreiben, ebenfalls ein sogenanntes Gegenpartei-Risiko aufweisen. Zum anderen weisen Swap-ETFs in manchen Märkten deutlich Vorteile gegenüber voll replizierenden ETFs auf, etwa bei US-Aktien. 

Unterschätzt: Swap-basierte ETFs 

Siehe oben. Auch wenn es eigentlich überflüssig ist, das zu erwähnen: Swap-ETFs werden durch die europäischen Fondsrichtlinien reguliert, es handelt sich also nicht um ETFs zweiter Klassen. Auch wird die Zusammensetzung der Wertpapierkörbe transparent und zeitnah durch die Anbieter kommuniziert. Darüber hinaus ignorieren Anleger geflissentlich, dass aktiv verwaltete Fonds ebenfalls in großem Maßstab Swaps einsetzen, ja, die Performance so mancher aktiv verwalteter Fonds wird zu großen Teilen aus Swaps erzielt. Es lohnt sich also, in der konkreten Situation Vorteile und Nachteile der jeweiligen Replikationsarten nüchtern abzuwägen. 

STICHWÖRTER
Facebook Twitter LinkedIn

Über den Autor

Ali Masarwah

Ali Masarwah  Ali Masarwah war von 2011 bis Frühjahr 2021 als Chefredakteur für die deutschsprachigen Anleger Websites von Morningstar verantwortlich