"Reddit Army" wirbelt die Finanzmärkte durcheinander

Einige in der Finanzbranche haben die Tragweite der Causa GameStop erkannt. Andere laufen Gefahr, nicht nur eine neue Generation von Privatinvestoren vor den Kopf zu stoßen. Wer die neue Demokratisierung der Märkte unterschätzt, könnte vielmehr auch seinen Kunden einen Bärendienst erweisen.

Ali Masarwah 01.02.2021
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2021 Symbolbild

Wir werden gerade Zeugen einer beeindruckenden Bewegung. Bereits seit Monaten machen Privatanleger durch spektakuläre Investments von sich reden, die gegen etablierte Konventionen des Finanzmarkts verstoßen. Einige dieser Aktionen richten sich sogar gezielt gegen das Markt-Establishment selbst. Der Schwerpunkt dieser Aktivität liegt in den USA, aber auch hierzulande sind Spill-over Effekte zu beobachten.

Eher nur vereinzelt wahrgenommen wurde der neue Aktionismus der Privatanleger im vergangenen Jahr. Es fielen im vergangenen Jahr Investments in den Autovermieter Hertz auf, die getätigt wurden, nachdem dieser in den USA Insolvenz angemeldet hatte. Das sorgte für Stirnrunzeln. Regelrecht stilprägend waren indes die gezielten Kaufaktionen der GameStop-Aktie in diesem Jahr. Sie fügten einigen Hedgefonds, die Short in der GameStop-Aktie gegangen waren, spektakuläre Verluste zu.

Im Rückblick dürfte der Sieg gegen Hedgefonds wie Melvin Capital als einer der prägenden Momente des Investmentjahres 2021 gezählt werden. Diese Trades wurden offenbar zum Teil auf Plattformen wie Reddit abgesprochen. Auch in Deutschland folgten etliche Investoren den Vorgaben aus den USA.

Wir wollen an dieser Stelle weder die – zugegebenermaßen faszinierenden - Ereignisse nacherzählen und auch nicht bewerten, ob es ein sinnvolles Vorgehen ist, Unternehmen, die von der Pleite bedroht sind, hochzukaufen (Skepsis ist angebracht).  Es geht uns darum, die Finanzmarktteilnehmer davor zu warnen, die neue Macht der Privatanleger zu unterschätzen – oder gar ihre Legitimität infrage zu stellen.

„Inakzeptable Bevormundung“ durch Trading-Plattformen

Es ist immer wieder spannend zu beobachten, welche Wucht von Bewegungen großer Massen auf Social Media-Plattformen ausgeht. Wir wollten vor wenigen Tagen in einer Twitter-Umfrage die Stimmung unter Privatanlegern ausloten und fragten nach, wie die zeitweilige Handelssperre von GameStop-Aktien auf einer beliebten Trading-Plattform gesehen wurde. Über 2.700 Stimmen wurden abgegeben, von denen über 85 Prozent in dem Schritt eine „inakzeptable Bevormundung“ sahen. Auch in anderen Foren war die Empörung vieler Investoren mit Händen zu greifen.

Interessant ist, was die Finanzbranche aus der Causa GameStop macht. Etliche Profi-Anleger, die sich in den Medien in diesen Tagen äußern, stellen die Sache als vorrübergehende Störung dar. „Der Herdentrieb 2.0“ werde „wieder auf ein Normales Niveau gestaucht werden“, wird ein Marktteilnehmer im Handelsblatt zitiert. Andere sprechen von einem „Mob“ oder gar einer „metastasierenden Bewegung“. Auch die Bafin warnte, dass „Marktabsprachen einen strafbaren Marktmissbrauch (darstellen können)“. 

Diese Punkte gehen am Kern der Sache vorbei. Wer sich dergestalt äußert, setzt nicht nur die falschen Schwerpunkte, sondern läuft Gefahr, die ganze Tragweite der Causa GameStop falsch zu deuten.

Sind aktivistische Anleger ein „Mob“?

Anstatt Anleger zu verdächtigen, „Marktmissbrauch“ zu betreiben (der nach Meinung von Juristen ohnehin kaum nachweisbar sein dürfte), wäre es angemessener zu untersuchen, ob Trading Plattformen die falsche Instanz sind, den Handel in bestimmten Aktien zu unterbinden. Der Verweis auf technische Probleme wäre vielmehr ein Anlass zu prüfen, ob solche Plattformen funktional in der Lage sind, den geregelten Betrieb aufrecht zu erhalten, mit dem sie bei Kunden werben. Wer den falschen Frame setzt, läuft Gefahr einer Täter-Opfer-Umkehr anheim zu fallen.

Darüber hinaus sollte sich die Finanzbranche hüten, aktionistische Investoren pauschal als „Mob“ oder „Zocker“ zu verunglimpfen. Wer renommierte Hedgefonds derart in Bedrängnis bringt, dass sie nach einem veritablen Short Squeeze das Handtuch werfen und sogar wegen der hohen Verluste auf Kapitalspritzen angewiesen sind, dann spricht das für bemerkenswerte Chuzpe der Privatiers und dafür, dass sie in der Lage sind, ihre Möglichkeiten realistisch einzuschätzen.

Auch aus Perspektive der Anlegerdemokratie mutet die Kritik aus der Finanzbranche an der „Reddit-Armee“ skurril an: Es werden zunächst kostengünstige Handelsmöglichkeiten aggressiv beworben, um sie dann einzuschränken, wenn die Ergebnisse der Privatanleger-Trades den Plattform-Betreibern nicht genehm sind. (Dass die US-Handelsplattform mit dem sprechenden Namen „Robin Hood“ ihren Orderflow an den Hedgefonds Citadel verkauft, hat mindestens ein Geschmäckle).

Aktien von Pleitekandidaten in Abwesenheit von neuen, fundamental relevanten Nachrichten zu kaufen, mag nicht die beste Investmententscheidung sein, aber in einer demokratisch verfassten Marktwirtschaft ist nun einmal jeder seines Glückes Schmied. Und auch wer Social Media Plattformen kritisch gegenübersteht kommt nicht umhin anzuerkennen, dass sich nicht nur die Spielregeln in der Politik (Stichwort: Regieren per Twitter in den USA von 2017 bis 2021), sondern auch in der Finanzbranche verändert haben.

Short-Seller werden künftig der „Reddit-Armee“ höchste Beachtung schenken 

Zum Glück haben alte Hasen wie der Allianz-Berater Mohamed El-Erian verstanden, dass sich Fundamentales an den Märkten verändert hat. Mitunter elitär anmutende Stimmen, die offenbar Short-Squeezes dann unschicklich finden, wenn Privatanleger Hedgefonds in die Enge treiben, sollten umdenken. Man muss den „Flashmob“ nicht lieben, aber wohl als neuen, relevanten Faktor an den Märkten in Rechnung stellen – und auch tunlichst nicht verunglimpfen. Hinter dem vermeintlichen „Mob“ stehen potenzielle Kunden, und mit denen sollte man es sich nicht verscherzen.

Vermutlich dürften Hedgefonds mit als Erste die neue Macht der Privatanleger systematisch in ihre Überlegungen einbeziehen. Wer Short geht, wird tunlichst alle Teile der Gleichung in Rechnung stellen, die seinen Trade beeinflussen können. Der Monatsverlust von über 50 Prozent bei Melvin Capital im Januar, der am heutigen Montag in den Medien kolportiert wird, dürfte Warnung genug davor sein, die neue Macht der Privatanleger zu unterschätzen.

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Über den Autor

Ali Masarwah

Ali Masarwah  Ali Masarwah war von 2011 bis Frühjahr 2021 als Chefredakteur für die deutschsprachigen Anleger Websites von Morningstar verantwortlich