‚Wer lügt?' Warum Autokratie ein schlechtes Investment ist

Der Begriff ist nicht neu, wird aber immer wichtiger: Regime-Risiko

Tom Lauricella 15.03.2022
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Putin waving

Investoren in russischen Aktien und Anleihen haben mit dem Feuer gespielt - und sich verbrannt. Nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine werden Aktien und Anleihen aus Russland als wertlos abgeschrieben, was den Anlegern Verluste einbringt.

Aber es gibt noch eine weitere Lektion: Wenn es um Investments in autokratischen Ländern wie Russland geht, können normale Regeln für die Auswahl von Aktien und Anleihen, wie etwa Bewertungen oder fundamentale Aussichten von Unternehmen oder Ländern über Nacht irrelevant werden.

Fraglos können Investoren eine Weile verdienen, aber am Ende zählen dann doch nur die Regeln der Person, die das Land regiert. Und das bedeutet oft, sie machen die Regeln so, dass sie ihre Macht erhalten, sich und ihre Kumpane bereichern oder beides.

Es war eine Sache, die Risiken von Investments in Russland zu übersehen. Es ist ein Land, in dem die meisten diversifizierten Anleger nur einen kleinen Prozentsatz ihres Portfolios halten. Anders verhält es sich bei einem Land wie China. Viele Investmentfonds und Aktien sind direkt oder indirekt stark in dem Land engagiert und Beobachter, die vor Russland gewarnt hatten, ermutigen jetzt die Anleger, ähnliche Fragen zu China zu stellen.

"China ist ein unglaublich lukrativer aufstrebender Markt für Investments, aber über das Regime wird so wenig gesprochen", sagt Jon Hale, Leiter Nachhaltigkeitsresearch für Amerika bei Morningstar.

Anleger müssen sich dringend fragen, „ob es langfristig wirklich nachhaltig ist, in solchen Ländern zu investieren", sagt Hale. Es besteht „ein systemisches Risiko, zu dem wir alle beitragen und dem wir mehr Aufmerksamkeit schenken sollten".

Und die Realität sieht so aus, dass Anleger in den letzten zehn Jahren ihr Geld besser in den Vereinigten Staaten gelassen hätten, als es nach Russland oder China zu schicken.

 

 

Zwei Risiken

Eine Möglichkeit, die Fragen zu betrachten, besteht darin, sich die beiden Risiken von Investments in Autokratien genau anzusehen: geopolitische Risiken und Rechtsstaatlichkeit.

Russlands Überfall auf die Ukraine ist ein extremes Beispiel für die geopolitischen Risiken, die mit Investments in autokratischen Ländern verbunden sind. Das Risiko, mit dem Investoren eher zu tun haben, ist die Rechtsstaatlichkeit.

Bill Browder, der berühmte Hedge-Fonds-Manager, der sein Vermögen in Russland gemacht hat, dann aber nach Auseinandersetzungen mit Oligarchen ausgewiesen wurde und dessen russischer Anwalt in Moskau verhaftet und von den Behörden misshandelt wurde und in einem Gefängnis starb, ist der Meinung, dass Rechtsstaatlichkeit ein Hauptkriterium für Investoren sein sollte.

"Man kann eine Branche, die Wirtschaft und das Managementteam so gut analysieren, wie man will, und dann kommt plötzlich jemand daher und zockt einen ab, und man hat keinen Rückhalt bei den Gerichten, keinen Rückhalt bei den Medien ... und wenn es sich nicht um rechtsstaatliche Länder handelt, hat man im Allgemeinen auch keinen Rückhalt bei den Regulierungsbehörden", sagt er.

"Man kann nur nach gut Glück vorgehen und sich darauf verlassen, dass derjenige, der das Sagen hat, einem wohlgesonnen ist.“

Browder sagt, er habe verschiedene Argumente und Strategien für Investments in Ländern wie Russland gehört. So sollten Investoren beispielsweise strategische Branchen wie Öl und Gas meiden, die wahrscheinlich eng mit der Machtstruktur und korrupten Beamten verbunden sind.

"Klar kann man in nicht-strategische Branchen investieren, aber normalerweise verursachen die Dinge, die nicht strategisch sind, Verluste", sagt er.

 

Wer lügt?

Hinzu kommt der Mangel an Transparenz in autokratischen oder autoritären Regimen.

Viele Fondsgesellschaften und professionelle Anleger sprechen gerne von ihrem Research vor Ort, wenn es um Aktien oder Anleihen geht. Aber schauen Sie sich nur das Schwellenländerteam von BlackRock an.

Morningstar-Analyst Samuel Lo stellt fest: "Das Team, das den mit Silber bewerteten BlackRock Emerging Markets (MADCX) verwaltet, hielt die Wahrscheinlichkeit eines Krieges für unwahrscheinlich, nachdem einige Teammitglieder Ende Januar Russland besucht hatten und das Land schon mehr als 150.000 Soldaten an der Grenze zum Nachbarland aufmarschieren ließ. Die Tatsache, dass die Bevölkerung nicht auf eine umfassende Invasion vorbereitet zu sein schien, und andere Faktoren, einschließlich günstiger Bewertungen sprachen dafür, die langfristigen Positionen der Strategie in Russland beizubehalten, so das Team am 16. Februar."

Natürlich gab es viele Beobachter, die nicht glaubten, dass Russland in die Ukraine einmarschieren würde. Und es ist nun mal nicht so, dass ein Fondsmanager jemanden an der Macht fragen könnte, ob Russland in die Ukraine einmarschiert, und darauf eine Antwort bekäme. Laut Browder spiegelt dies jedoch einen generellen Punkt wider.

"In Russland und Ländern wie Russland lügen [Unternehmensmanager und Beamte] und empfinden keine Scham dabei. Sie sagen: 'Wir haben nicht die Absicht, Konkurs anzumelden, und tun am nächsten Morgen genau das.“

Nimmt man alles zusammen, so Browder, denken Investoren fälschlicherweise, dass sie in diesen Märkten genauso vorgehen können wie in einem Markt, der nach anlegerfreundlichen Prinzipien funktioniert.

"Es gibt Leute, die sagen: 'OK, ich habe Nachforschungen angestellt und habe Barron's gelesen und Gazprom wird zum zwei- oder dreifachen Gewinn gehandelt.“

 

 

Es lassen sich Parallelen ziehen zwischen Wladimir Putins Plänen für die Ukraine und den Ansprüchen, die China seit vielen Jahren auf Taiwan erhebt. Zudem hat China die Freiheiten in Hongkong stark eingeschränkt und die uigurische Bevölkerung verfolgt. Aber China muss nicht so weit gehen und in Taiwan einmarschieren, um Investoren zu zeigen, welche Risiken mit Investments in diesem Land verbunden sind.

Im letzten Sommer verschärfte die chinesische Regierung die Regulierung von Internetunternehmen, darunter einige der bekanntesten Namen wie Alibaba (BABA) und Tencent (TCEHY), die sich im Besitz der meisten Schwellenländer- und China-Aktienfonds befinden.

Im Verlauf des letzten Jahres verlor Alibaba fast 60% seines Wertes, Tencent mehr als 40%. Außerdem nahmen die chinesischen Regulierungsbehörden private Bildungsunternehmen ins Visier. TAL Education (TAL) war einer der Anbieter im Fadenkreuz der chinesischen Regierung und seine Aktien verloren im letzten Jahr rund 97% an Wert.

Diese Maßnahmen und die zunehmenden Spannungen zwischen den USA und China in Bezug auf die Offenlegungspflichten börsennotierter Unternehmen setzten US-Investoren in chinesischen Aktien stark zu.

 

 

Perth Tolle, Manager des Freedom 100 Emerging Markets ETF (FRDM), sagte kürzlich in einem Interview mit Leslie Norton von Morningstar:

"Aus Anlegersicht ist nicht Russland das größte Problem, weil das Land nur 3% in den meisten Benchmarks ausmacht. Das Problem ist vielmehr China mit seinem Anteil 30% in den meisten Schwellenländerindizes. Das ist ein enormes Konzentrationsrisiko."

Browder dazu: "Nur weil es sich um eine große Wirtschaft handelt, die gewachsen ist, heißt das noch lange nicht, dass sie ausländische Investoren fair behandeln, wenn sie nationalistischer werden."

 

Versteckte Risiken

Selbst wenn Investoren nicht direkt in autokratischen Ländern engagiert sind, können sie versteckte Risiken haben durch Unternehmen mit Sitz in anderen Teilen der Welt, die in Ländern mit mangelnder Rechtsstaatlichkeit tätig sind. Ein häufiges Beispiel, sagt Shin Furuya, Impact Investment Strategist bei Domini Impact Investments, sind Energie- und andere Rohstoffunternehmen. "Ein europäisches oder asiatisches Energieunternehmen könnte durchaus im Sudan vor Ort sein oder in Myanmar", sagt er.

Energie- und Rohstoffunternehmen müssen oft mit staatlichen Unternehmen zusammenarbeiten, was es sehr schwierig macht, sich von den Risiken abzukoppeln, die von einer Regierung ausgehen, die möglicherweise in einen Krieg verwickelt ist, die Menschenrechte verletzt oder stark korrupt ist.

 

Risiko und Belohnung

Trotz all dieser Risiken haben Russland und China in den letzten zehn Jahren nicht viel Rendite gebracht. Vor der Schließung der russischen Finanzmärkte erzielte der RTS-Index in den letzten 10 Jahren eine durchschnittliche Rendite von 4,2% pro Jahr, der S&P/BNY Mellon China Select Index 1,9% pro Jahr und der Hang Seng Index -0,24% pro Jahr. Der Morningstar US Market Index hingegen schaffte in den letzten zehn Jahren eine durchschnittliche Rendite von 14,9%.

 

 

Browder weist darauf hin, dass Märkte wie China zwar Phasen mit überdurchschnittlicher Performance haben, aber auch von großen Rückschlägen aufgrund politischer Entscheidungen betroffen sind. "Wenn man Trader ist, hat man Momente, in denen die Märkte wirklich ausgebombt sind, und dann kann man sich aus dieser Situation heraus handeln. Aber auf lange Sicht ist die Wahrscheinlichkeit, dass man Geld verliert, genauso groß wie die, Geld zu verdienen.

Hale von Morningstar ist der Meinung, dass angesichts der Verluste in Russland und China das Bewusstsein der Investoren für Regime-Risiken wachsen könnte. Das könnte sich auch auf Länder wie die Türkei und Ungarn ausweiten. "Ich denke, dass das Thema mehr Beachtung finden wird als in den letzten Jahrzehnten", sagt er.

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Über den Autor

Tom Lauricella  ist Redakteur bei Moningstar.