Wann senkt die EZB die Zinsen?

Von der Sitzung des EZB-Rats am Donnerstag wird keine Zinsänderung erwartet. Doch die Geldpolitiker stehen unter dem Druck, sich Richtung Zinssenkung zu bewegen. Denn die Inflation in der Eurozone schwächt ab und gleichzeitig droht eine Rezession. 

Antje Schiffler 22.01.2024
Facebook Twitter LinkedIn

Christine Lagarde

Bei der ersten Sitzung des Rats der Europäischen Zentralbank (EZB) in diesem Jahr wird genauestens auf Anzeichen für eine mögliche anstehende Lockerung der Geldpolitik geachtet werden. 

Die Finanzmärkte gehen derzeit davon aus, dass die EZB im Frühjahr mit der Senkung der Leitzinsen beginnen und im Laufe des Jahres vier weitere Zinssenkungen vornehmen wird; für das Jahr 2024 werden Zinssenkungen um etwa 150 Basispunkte eingepreist. Doch dies könnte den Entwicklungen etwas vorauseilen. Und so versuchen die Zentralbanker im Vorfeld vehement, die Hoffnungen auf baldig anstehende und umfassende Zinssenkungen zu dämpfen.

 

Wann beginnt die EZB, den Leitzins zu senken?

Doch es hat sich viel getan seit dem Beschluss des EZB-Rats vom Dezember, die Zinssätze unverändert bei 4,5 % zu belassen. Damals erklärte Präsidentin Christine Lagarde gegenüber Reportern, der Rat habe "überhaupt nicht über Zinssenkungen diskutiert". Inzwischen kommt das Wort den Zentralbankern durchaus über die Lippen. 

Zum Einen ist die zugrunde liegende Inflation rückläufig. Während die Gesamtinflation in der Eurozone im Dezember anstieg, sank die Kerninflation, die Preisänderungen ohne die Kosten für Energie und Lebensmittel ausweist, um 20 Basispunkte auf 3,4 %. Das Blackrock Investment Institute geht davon aus, dass sich die Preisdynamik ab Februar weiter abschwächen wird. Die Inflation könnte in den kommenden Monaten sogar vorübergehend deutlich unter die Zielmarke von 2% fallen, da die Auswirkungen des Energieschocks abklingen.

Das Mandat der EZB besteht darin, die Inflation wieder auf die Zielrate von 2% zu bringen, aber ihre Herausforderung besteht darin, dies zu erreichen, ohne die Eurozone in eine ausgewachsene Rezession zu stürzen.

Doch die jüngsten makroökonomischen Daten schüren die Befürchtung, dass der Währungsraum genau in diese Richtung steuert. Die Industrieproduktion ist im November im Vergleich zum Vormonat um 0,3 % gesunken, wie aus den letzte Woche veröffentlichten Eurostat-Daten hervorgeht. Derweil steuert die größte Volkswirtschaft des Euroraums, Deutschland, auf ein zweites Jahr der Rezession zu, da "mehrere Krisen" das Wachstum weiterhin dämpfen, wie die Leiterin von Destatis letzte Woche sagte. Die deutsche Wirtschaft schrumpfte 2023 im Vergleich zu 2022 um 0,3%.

"Die Inflation sinkt und die Wirtschaft ist von einer Rezession bedroht. Das gibt den politischen Entscheidungsträgern die Möglichkeit, die Zinsen zu senken", sagt Michael Field, europäischer Marktstratege bei Morningstar.

 

Die EZB wehrt sich gegen Markterwartungen

Christine Lagarde erklärte letzte Woche auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos gegenüber Bloomberg, dass die EZB die Zinsen wahrscheinlich im Sommer senken wird. Wie viele ihrer Ratskollegen versuchte auch sie, die Erwartungen an eine baldige Lockerung zu dämpfen.

Einige Ratsmitglieder äußerten ihre Unzufriedenheit mit der vorherrschenden Markterwartung, dass die Zentralbank bereits im Frühjahr mit der Senkung der Leitzinsen beginnen würde, sagte Dr. Ulrich Kater, Chefvolkswirt der Deka Bank. Vor der ersten Zinssenkung wird der Rat jedoch darauf achten, dass die Inflation dauerhaft auf 2 % sinkt. Unter dem Strich halte es der Rat daher für sehr unwahrscheinlich, dass die Leitzinsen vor seiner Sitzung im Juni gesenkt werden.

Katharine Neiss, Chefvolkswirtin für Europa bei PGIM Fixed Income, rechnet nicht mit Zinssenkungen in den nächsten Monaten.

"Unsere Überlegungen leiten sich aus den Äußerungen der EZB ab, die darauf hindeuten, dass der EZB-Rat eine Lockerung bei einer Reihe von Faktoren anstrebt, die den zugrunde liegenden inländischen Inflationsdruck beeinflussen."

"Dazu gehören nicht nur die Kern- und die Dienstleistungsinflation, sondern auch die Löhne und die Preisaufschläge der Unternehmen. Das würde bedeuten, dass das 2. Quartal als frühester Zeitraum für Senkungen in Frage kommt."

Die EZB wird aber nicht nur versuchen, die Erwartung früherer Zinssenkungen zu dämpfen, sondern auch die Erwartungen hinsichtlich der Anzahl der Zinssenkungen (fünf oder mehr in diesem Jahr), sagt Felix Feather, Wirtschaftswissenschaftler bei Abrdn.

Das bedeutet, dass auch niedrigre Bauzinsen noch in weiter Ferne liegen könnten.

 

EZB, Fed, BoE: Erwarten Sie keine koordinierten Zinssenkungen

Allerdings hat die EZB einen viel größeren Spielraum für Zinssenkungen als ihr Pendant auf der anderen Seite des Atlantiks. Letztes Jahr erwarteten die Märkte, dass die Zentralbanken gleichzeitig mit Zinssenkungen beginnen würden, und deshalb lag auch hier in Europa der Schwerpunkt auf der Fed, sagt Morningstar's Field. Aber die US-Wirtschaft droht zu überhitzen, und die Inflation dort ist wieder gestiegen, so dass die Fed eine schwierigere Aufgabe hat, fügt Field hinzu. Die Europäer sollten nicht auf die USA schauen, um den Weg der geldpolitischen Lockerung einzuschätzen.

Die Devisenmärkte haben derweil in dieser Woche mit der jüngsten EZB-Kreditumfrage am Dienstag und den vorläufigen Einkaufsmanagerindizes für Januar am Mittwoch einiges zu verdauen. Diese beiden Datensätze hatten den Euro im vergangenen Jahr stark belastet und werden am Donnerstag genau beobachtet werden. Die ING-Bank sieht den EUR/USD-Kurs alles in allem weitgehend unverändert bei 1,09.

 

Bleiben Sie auf dem Laufenden

Melden Sie sich hier für unsere Newsletter an

STICHWÖRTER
Facebook Twitter LinkedIn

Über den Autor

Antje Schiffler  ist Redakteurin bei Morningstar in Frankfurt.