Keine Ansteckungsgefahr für Europas Banken durch Credit Suisse

Morningstars auf den Bankensektor spezialisierten Aktienanalysten Niklas Kammer und Johann Scholtz zur Lage im europäischen Bankensektor.

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CSNachdem die Credit Suisse ihre Liquidität aufgestockt hat, haben sich die Befürchtungen über eine sich ausbreitende Bankenkrise in Europa verfestigt. Auch wenn wir davon ausgehen, dass die nächsten Tage und Wochen volatil bleiben werden, sehen wir derzeit keine Ausbreitung einer Liquiditätskrise im europäischen Bankensystem. Die Probleme bei der Credit Suisse sind idiosynkratischer Natur und unserer Meinung nach selbst im schlimmsten Fall vorerst beherrschbar.

Da die Kapital- und Liquiditätsausstattung durchweg hoch ist, die Qualität der Aktiva nach wie vor gut ist und die Aufsichtsbehörden viel besser gerüstet sind als vor 15 Jahren, um etwaige Funken zu unterdrücken, halten wir die europäischen Banken für solide. Der wichtigste Vorbehalt ist, dass sich die Entwicklungen derzeit rasant vollziehen und dass die Ansichten, die wir uns heute bilden, morgen schon überholt sein können. Wir sind der Meinung, dass Anleger am besten in europäischen Banken mit einer stärkeren Ausrichtung auf den Einzelhandel und soliden Rentabilitätsaussichten aufgehoben sind. Wir würden BBVA, Handelsbanken, ING und Lloyds hervorheben.

 

Große Unterschiede zur Krise 2007/2008

Während sich viele Anleger an die Jahre 2007 und 2008 erinnern und eine erneute Liquiditätskrise befürchten, die das europäische oder gar das globale Finanzsystem lähmt, sind wir der Ansicht, dass die Bedingungen heute grundlegend anders sind. Zunächst einmal leiden die europäischen Banken nicht unter großen toxischen Vermögenswerten, die Löcher in ihre Bilanzen reißen und das gesamte Eigenkapital auf einmal aufzehren. Im Gegenteil, die Kreditausfälle dürften in diesem Jahr immer noch auf oder unter dem Niveau der Mitte des Zyklus liegen.

Wie wir bereits in einer früheren Notiz im Zusammenhang mit den Entwicklungen bei der SVB dargelegt haben, haben sich die europäischen Banken von langfristigen Laufzeiten ferngehalten und den Großteil ihrer Durationsrisiken, die sie durch Hypothekendarlehen eingegangen sind, abgesichert. Daher halten wir das Risiko, dass weitere Zinserhöhungen der europäischen Zentralbanken zu einer Ausweitung der nicht realisierten Verluste bei den Banken führen, für begrenzt.

Daher sehen wir keinen echten Katalysator, der eine potenzielle Liquiditätskrise im europäischen Bankensystem auslösen könnte. Ein solcher Schock würde sich zuerst auf dem Interbankenmarkt bemerkbar machen, auf dem sich die Banken für kurze Zeit - meist über Nacht - Geld leihen und verleihen, um ihren Liquiditätsbedarf auszugleichen. Da wir davon ausgehen, dass die Risiken im europäischen Bankensektor von den Banken selbst gut verstanden werden, gehen wir nicht davon aus, dass dieser Markt versiegen wird.

 

Banken dürften weiterhin Liquidität bereitstellen

Abgesehen von größeren Kreditereignissen, die wir derzeit nicht vorhersehen, sollten die Banken weiterhin Liquidität bereitstellen. Die Differenz zwischen dem Dreimonats-EURIBOR und deutschen Bundesanleihen mit gleicher Laufzeit, die einen guten Hinweis auf die unbesicherte Kreditvergabe innerhalb der Banken in Europa gibt, ist vorerst niedrig geblieben, was unsere Überzeugung unterstreicht, dass die europäischen Banken derzeit keine Ansteckung befürchten.

In Anbetracht der Tatsache, dass die Rentabilitäts- und Kapitalprobleme seit etwa zwei Jahren öffentlich diskutiert werden, sind wir auch der Meinung, dass das Engagement anderer Banken bei der Credit Suisse begrenzt sein sollte. Die meisten Engagements werden wahrscheinlich kurzfristiger Natur sein, meist über Nacht, und durch Sicherheiten unterlegt sein. Engagements in Anleihen der Credit Suisse, die im Falle eines "Bail-in" erheblich beeinträchtigt werden könnten, werden wahrscheinlich in den Fonds der Vermögensverwaltungseinheit zu finden sein, die außerhalb der Bilanz geführt werden.

Der nächste Punkt - der den Anlegern zwar oft eingetrichtert wird, aber unserer Meinung nach hier wiederholt werden muss - ist, dass die Banken viel besser kapitalisiert sind als je zuvor in ihrer Geschichte. Die Liquiditätsdeckungsquoten und die Net Stable Funding Ratio sind stark und liegen weit über den von den Aufsichtsbehörden festgelegten Mindestanforderungen.

Zur Erinnerung: Die SVB sowie andere kleinere oder regionale Banken in den USA sind von der Angabe von Liquiditäts- und stabilen Finanzierungsquoten befreit. Diese Kennzahlen können nicht isoliert betrachtet werden, und selbst eine gut kapitalisierte Bank kann in Schwierigkeiten geraten. Zusammen mit unseren früheren Ausführungen zur Qualität der Aktiva und zum begrenzten Durationsrisiko sehen die europäischen Banken jedoch solide aus.

 

Rentabilität steht im Vordergrund

Die Probleme der Credit Suisse sind idiosynkratischer Natur. Nachdem die Credit Suisse erst vor vier Monaten Kapital aufnehmen musste, um ihr Geschäft umzustrukturieren, haben die Äußerungen ihrer größten Aktionäre, dass sie der Bank keine weiteren Mittel zur Verfügung stellen würden, gepaart mit den negativen Aussichten auf Verluste in diesem und möglicherweise im nächsten Jahr, die Märkte dazu veranlasst, schnell und energisch zu handeln. Die einzige Erkenntnis, die wir derzeit für andere europäische Banken gewinnen können, ist, dass die Rentabilität im Vordergrund steht.

Die Credit Suisse hing schon in den Seilen, bevor der Nachrichtenfluss aus den USA die Anleger gegenüber ihren Bankengagements misstrauisch machte. Andere europäische Banken, die wir betreuen, leiden nicht unter einem solchen Überhang und stellen daher ein geringeres Risiko dar.

In einem Worst-Case-Szenario, in dem die Credit Suisse ihre Liquiditäts- und Kapitalprobleme nicht in den Griff bekommt, sind wir der Meinung, dass die vorhandenen Abwicklungsmechanismen ausreichen, um eine Ausbreitung der Risiken zu verhindern.

Erstens würden zusätzliche Tier-1-Anleihen in Eigenkapital umgewandelt, was zu einer Verwässerung der Anteilseigner führen würde, aber den Fortbestand der Bank sichern würde. Sollte dies nicht ausreichen, werden bail-in-fähige Anleihen im Wert von etwa 60 Milliarden CHF in Eigenkapital umgewandelt. Obwohl ein solches Szenario für die Aktionäre und Obligationäre der Credit Suisse nachteilig wäre, sind wir der Meinung, dass der bestehende Mechanismus ausreicht, um die Probleme innerhalb der Credit Suisse zu bewältigen. Hervorzuheben ist auch, dass die Bilanz der Credit Suisse in guter Verfassung ist, was eine potenzielle Abwicklung des Geschäfts relativ einfach macht und kaum zu Ansteckungseffekten innerhalb des Sektors führen dürfte.

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