Japans Reformprozess in Gefahr

Vier der sieben größten Volkswirtschaften der Welt liegen danieder. Nur die USA, Kanada und Großbritannien wachsen aus eigener Kraft.

Werner Hedrich 12.08.2005
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In den ersten 40 Jahren nach dem 2. Weltkrieg bewunderten Amerikaner und Europäer das japanische Produktionswunder: pedantische Kontrolle der Lagerbestände, punktgenaue Zulieferungssysteme, Qualitätsprüfungen durch jeden Mitarbeiter während des Produktionsprozesses und Überkreuzbeteiligungen faszinierten westliche Konzerne. Heute, seit nunmehr 15 Jahren leidet das Land der aufgehenden Sonne unter den Folgen einer Investitionsblase, die ihr Ende fand in himmelhohen Immobilienpreisen und Aktienmärkten.

Post-Bubble Japan sieht Anfang des Jahrtausends erste Sonnenstrahlen am Horizont. Die Deflation – ein Zeitalter fallender Preise – neigt sich dem Ende zu. Der Trend ist an der Preisfront aufwärts gerichtet. Die Inflationsrate könnte dieses Jahr bei 0% liegen. Zwischen 2001 und 2003 g

aben die Preise jedes Jahr im Schnitt um mehr als 1% nach. Dank Nullzinspolitik, einer Staatsverschuldung, die das 1,7 fache des BIP beträgt, und starkem Exportgeschäft wuchs die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt 2004 um 2,7%. Im laufenden Fiskaljahr sollte Japan mit 1,7% wachsen, prognostizieren internationale Wirtschaftsexperten.

Doch mangelt es Japan wie Deutschland an Mut und Unterstützung für Systemänderungen, von denen die Mehrheit der Staatsbürger mittelfristig profitieren würde. Das Schleifen von politischen Institutionen und Althergebrachtem steht erst am Anfang. Die Privatisierung der japanischen Postbank ist mit den deutschen Anstrengungen einer Föderalismusreform und Umgestaltung der Sozialsysteme vergleichbar. Noch dominieren Partikularinteressen und verhindern die Durchsetzung des Nötigen zu Lasten der Gemeinschaft.

Japans Premierminister Koizumi ist mit der Entstaatlichung der Postbank an der eigenen Partei gescheitert. Besitzstandswahrer der Liberaldemokratischen Partei und Interessenvertreter des traditionellen Japan verweigerten ihrem Regierungschef die Gefolgschaft im Kernpunkt seiner Reformbemühungen. Die japanische Postbank ist die größte Sparkasse und Versicherungsgesellschaft der Welt. Die Kundeneinlagen fließen durch die öffentliche Hand direkt in Konjunkturprogramme und Baumaßnahmen. Die Post steht für politischen Filz und Fehlallokation von Kapital. Nicht die Rentabilität von zu finanzierenden Projekten zählt, sondern die Seilschaften zur Erlangung der Gelder sind bedeutend. Die Kosten für die Fehlallokation trägt die Gemeinschaft. Die Privatisierung der 2500 Milliarden Euro verwaltenden Postbank ist der zweite Schritt nach der Sanierung der privaten Finanzinstitute. An ihr ist Koizumi vorerst gescheitert. Die Neuwahlen im September könnten das gleiche bewirken wie in Deutschland. Eine Aufspaltung des Parteiensystems und die Bildung von Lagern: Reformgegner und Besitzstandswahrer versus Reformer.

Die europäischen Kernländer Deutschland, Frankreich und Italien sowie Japan liegen am Anfang des Jahrtausends auf der Krankenstation der Weltwirtschaft. Konjunkturelle Impulse kommen aus Südostasien, China und den USA. Das mittelfristige Risiko für die globale Ökonomie sind die US-Verbraucher, die 70% ihres eigenen Sozialprodukts konsumieren. Und weil dies nicht reicht, importieren sie noch mehr Waren. Sie stützen die Auslandsnachfrage von Exportökonomien wie Japan oder Deutschland. Das Problem ist nur, dass die amerikanischen Verbraucher auf Pump leben und über beide Ohren verschuldet sind. Es ist zu hoffen, dass, wenn US-Bürger einmal krank werden sollten, ein Bett auf der Krankenstation frei ist. Japan und die europäischen Staaten sollten bis dahin ihre Medizin eingenommen haben und wieder aus eigener Kraft wachsen. Südostasien, Osteuropa und Südamerika sind die wohl geratenen Kinder der Globalisierung – sie haben gerade die Entbindungsstation verlassen, brauchen aber noch Zuneigung der Eltern.

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Werner Hedrich